1. Oktober 2008

Christian Rainer, Chefredakteur des "profil", schrieb in der gestrigen Ausgabe:

>>Die radikale Rechte auf Augenhöhe mit der größten Partei des Landes. Ein einzigartiger Fall in westlichen Demokratien.<<

Dem stimme ich zu. Aber das Cover des Heftes mißfällt mir sehr. Es suggeriert ein „Sieg Heil!“ und zielt damit zu hoch. Diese Zuschreibung verstärkt zwei Nachteile.

Erstens: Es fällt Haider und Strache dadurch leicht, den Vorwurf oder die Andeutung, sie seien Nazi, zurückzuweisen. Vor allem, weil sie eben keine sind, auch wenn sie mit diesem Milieu Geschäfte machen und ihre Karrieren damit unterfüttern. (Siehe dazu auch den Eintrag von gestern!)

Zweitens: Assoziiert man sie mit Nazi, braucht man nicht bearbeiten und beschreiben, was sie tatsächlich sind, nämlich eine zeitgemäße Form der Profiteure von Menschenverachtung, die freilich evidente Wurzeln haben.

Ich würde also vorziehen, sie vor diesem geschichtlichen Hintergrund, der ungetrübt im Blickfeld bleiben soll, aktuell zu deuten und darzustellen. So oder so kommt ein antiquierter Typus heraus. Etwas Gestriges.

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Um es etwas plüschig auszudrücken:
Ein Typ des völlig skrupellosen Glücksritters, wie er aus dem Holze des 19. Jahrhunderts geschnitzt ist, also aus einem Stoff der Vergangenheit. Diese Geschichte kann nicht ausreichend über die der Nazi, sondern muß über den Weg zum Ersten Weltkrieg und dessen Konsequenzen erzählt werden.

Das ist eine Erzählung, in der die Nazi ihrerseits als Epigonen auftauchen, nicht als originäre "Architekten" einer "neuen Welt". Sie waren bloß "Wiederverwerter", die das Vorgefundene mit neuen Technologien, hohem Organisationsniveau und völliger Gewissenlosigkeit ausgestattet haben. Laute sehr banale Zutaten.

Demnach sehe ich Haider und Strache als Epigonen von Epigonen, zugleich aber als etwas "Zeitgemäßes", das Aufmerksamkeit verdient. (Resampling, Bricolage ... die Heimwerkerbewegung der westlichen "Weltgeschichte".)

Ich habe gerade einige Zeit auf dieses Buch warten müssen, das zwar auf dem Markt ist, aber eine Weile nicht lieferbar war.

"Der Erste Weltkrieg" von David Stevenson. Ich teile eine grundlegende Erfahrung mit diesem Autor. Mein Großvater war Soldat im Ersten, mein Vater Soldat im Zweiten Weltkrieg. Mit beiden Männern hatte ich Gespräche führen können, war ihnen von Angesicht zu Angesicht begegnet.

In dieser realen Begegnung hat GESCHICHTE eine andere Dimension, als wenn sie einem bloß noch über Geschichtsschreibung, über die Deutung von Quellen, zugänglich wird. Zugleich hat diese gegenwärtige Generation von Autoren eine wohltuende Distanz zur "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts und überdies Zugänge zu "frischen Quellen".

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Stevenson faßt in seiner Einleitung die Konsequenzen des Ersten Weltkrieges so zusammen:

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Eine durch und durch hausgemachte Katastrophe. Aus ihr gingen jene "Schwarzen Korps" hervor, die Klaus Theweleit in den "Männerphantasien" beschrieb. Dafür wurde das "Heer als Schule der Gesellschaft" und der "soldatische Mann" als Männerideal kreiert.

Die Nazi haben all das bloß übernommen, zusammengeklaubt. Daß Haider die müden Leistungen des Dritten Reiches ("Arbeitsmarktpolitik") je öffentlich loben konnte, wie auch die "Ehrenhaftigkeit" der SS, illustriert bloß den bescheidenen Horizont des Mannes, innerhalb dessen er extrem smart agiert.

Doch ich wollte noch ein anderes Teilthema dieses Wahlkampfes ins Blickfeld rücken. Die Veränderungsschübe in Ökonomien und Gesellschaften, von denen rechtspopulistische Politiker nicht reden, weil ihr Klientel simplere Darlegungen begrüßt.

In Österreichs Innenpolitik hält sich das Bild, wir hätten vor allem ein "Ausländerproblem", von dem unser Wohlstand bedroht sei.

Ich würde ja gerne konkrete Zahlen sehen, welchen Schaden kriminelle Taten am Volksvermögen übers Jahr anrichten und was von diesen Beträgen konkret Tätern ohne österreichische Staatsbürgerschaft zugeordnet werden kann. Diese Zahlen würde ich dann gerne vergleichen.

Und zwar mit jenen Beträgen, die das Gemeinwesen verliert, einbüßt, weil legale Companies ganze Volkswirtschaften abzocken, weil wohlhabende Leute der Steuerflucht frönen, schlechte Löhne zahlen, Lieferanten drücken oder gar ruinieren, mehr noch, etwa in der Baubranche Finanzamt und Sozialversicherungen betrügen etc. etc. (Ergänzt um verschiedene Formen des organisierten Verbrechens, an denen zuweilen auch Staatsdiener beteiligt sind.)

Kurz: Was fressen uns Profithaie und Heuschrecken weg? Ich vermute, gemessen daran ist die individuelle Kriminalität von "Ausländern" eher ein eine bescheidene Größe. Aber davon erzählt uns die Innenpolitik nur selten. Wovon?

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Der Soziologe Gero Jenner hat bei einer Veranstaltung in Gleisdorf dargelegt, wie Republiken heute professionell ausgeplündert werden. Dabei mischen beispielsweise auch ganz seriöse Banken mit; sie tun es bloß aus dem Hintergrund, über andere Akteure, weil sie es sich nicht leisten könnten, öffentlich mit solchen Raubzügen in Zusammenhang gebracht zu werden.

Jenner betonte, er wolle da jetzt keine Firmennamen nennen, man könne sich aber darunter ruhig große Banken vorstellen. Es geht dabei zum Beispiel um „kleine Kredite“.

Eine Wohnung, ein Häuschen, ein Geschäft, 150.000 oder 200.000 Euro sind zwar für Leute meiner Herkunft enorm viel Geld, doch für international tätige Institute sind das, wie erwähnt, kleine Kredite, die überdies als arbeits-, also kostenintensiv gelten.

Freilich bekommt jemand wie ich spätestens seit „Basel II“ keinen Batzen Geld, der nicht angemessen besichert wäre. Diese Kredite stehen demnach für reale Gegenwerte, die im Fall des Falles verkauft werden können, um ausständige Beträge abzudecken. Soweit alles klar?

Nun macht die Bank X folgendes:
Sie „verkauft“ ein Bündel solcher „kleinen Kredite“ an eine private Company, die auf brutale Geschäfte spezialisiert ist. So ein privater „Equity Fund“ bezahlt für Kreditschulden in der Höhe von 100 Millionen Euro bloß 50 Millionen. Also verliert die Bank zwar formell 50 Millionen, kann davon aber die Hälfte steuerlich absetzen.

Das heißt:
Der Verlust verringert sich auf 25 Millionen, dafür sind 50 Millionen Cash umgehend da. Mit diesem Geld kann sofort wieder gearbeitet werden. Das verringert den Verlust abermals, weil die langjährige Bearbeitung der kleinen Kredite wegfällt und auf die ausständigen Beträge nicht mehr gewartet werden muß.

Gehen Sie ruhig davon aus, die Bank hat dabei ein gutes Geschäft gemacht. Auf Umwegen. Denn die Verfahrensweise gilt als extrem unethisch und wäre in unseren Landen verläßliche Ursache eines Imageschadens, der eine seriöse Bank viele Kunden kosten würde. Was geschieht nun weiter mit den Krediten?

Die KreditkundInnen dürfen sich noch ein Weilchen wundern, daß sie plötzlich -- ohne daß man sie gefragt hätte --, mit einem neuen Gläubiger konfrontiert sind, der ein hartes Programm fährt.

Zur Erinnerung:
Der „Equity Fund“ hat für bloß 50 Millionen Euro ein Paket von Schulden in der Höhe von 100 Millionen aufgekauft. Die Kredite werden „fällig gestellt“, es wird also abkassiert. Die Erfahrung zeigt, daß Zwangsvollstreckungen rund 20 Prozent Erlös bringen. Das Verkaufen und Verwerten von Immobilien bringt ungefähr 70 Prozent. So eine Aktion dauert zirka eineinhalb bis zwei Jahre.

Einsatz: 50 Millionen -- Erlöse: 90 Millionen.

Ein Rekord-Geschäft in Rekordzeit. Daß dafür eine Menge Leute ruiniert sind und auf der Straße stehen, kann den Finanzhaien egal sein. Der Profit wird privatisiert, also von Privatpersonen eingesteckt. Die Verluste an den geschädigten Menschen müssen von der Allgemeinheit abgedeckt werden. Für die ruinierten Schuldner bleibt das „soziale Netz“, soweit vorhanden.

Gero Jenner beschrieb auch noch eine Steigerungsform dieses Verfahrens. Wenn so ein Unternehmen zu den 100 Millionen Eigenkapital weitere 900 Millionen Euro Fremdkapital aufnimmt, „dann spült die Verdoppelung nach obigem Modell 1.800 Millionen Euro in die Kassen des Fonds, wovon er 900 Millionen Fremdmittel und auch die 100 Millionen eingesetzte Eigenmittel zurückzahlt“, um über den Rest von 800 Millionen Euro, die der Deal abgeworfen hat, zu verfügen.

Die Profite aus solchen Geschäften ergeben sich im gesamten Ablauf des Raubzuges eben AUCH aus Steuerabschreibungen. Diese Gelder fehlen dem Gemeinwesen. Derlei Unternehmungen hinterlassen ruinierte Leute, deren Projekte verbrannt wurden. Wie es den Leuten in der Folge ergeht, wirtschaftlich, sozial, gesundheitlich, welchen Schaden das an Familien anrichtet, darf der Staat überdies mit Steuergeldern reparieren.

So simpel sind die Zusammenhänge, wenn ich davon schreibe, daß smarte Geschäftsleute mitunter ganze Republiken ausplündern. Gemessen an den Schneisen, die solche Leute in den Wohlstand einer Gesellschaft hauen, ist das angebliche „Ausländerproblem“, das wir von der Innenpolitik plakatiert bekommen, wirtschaftlich wohl kein so erheblicher Faktor.


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