13. August 2008 II Alfred
Gusenbauer und Werner Feymann von der SPÖ an Hans Dichand, den Herausgeber der
"Kronenzeitung":
Sehr geehrter Herausgeber!
Der neue EU-Vertrag von Lissabon hat in vielen
Staaten Europas zu einer sehr kontroversiellen Diskussion geführt. Auch in Österreich
wurde dieser Vertrag vor der Ratifizierung im Parlament ausführlich debattiert. In diesen
Diskussionen wurde ein Unbehagen mit der Europäischen Union und ihrer Politik
artikuliert, das uns allen zu denken geben muss. Dieses generelle Unbehagen fand auch im
irischen Referendum über den Lissabon-Vertrag seinen Ausdruck. Die SPÖ respektiert das
Ergebnis der irischen Volksabstimmung uneingeschränkt und vorbehaltlos. Auch in
Österreich besteht gegenwärtig eine weit verbreitete Skepsis gegenüber der EU.
Nachdem eine überwältigende Mehrheit der
Österreicherinnen und Österreicher 1994 für einen Beitritt zur Europäischen Union
gestimmt hat, begegnen wir heute einer Stimmung der Verunsicherung und manchmal auch
Ablehnung. Viele Menschen sind enttäuscht und verärgert über die geringen Fortschritte,
die die EU auf dem Weg zu einer Sozialunion erreicht hat. Viele Menschen beklagen das
Demokratiedefizit der EU und die mangelnde Transparenz. Und viele Menschen haben den
Eindruck, dass sich die EU nicht mit ihren tatsächlichen Problemen beschäftigt, sondern
primär mit sich selbst.
Wir wollen diese Sorgen ernst nehmen und
unseren Beitrag dazu leisten, dass die EU auf die Kritik positiv reagiert. Österreich
soll sich als aktives Mitglied dafür einsetzen, dass die EU zu einer echten Sozialunion
wird. Die Auswirkungen europäischer Entscheidungen auf Arbeitnehmer und klein- und
mittelständische Unternehmen müssen wesentlich stärker berücksichtigt werden.
Der österreichische Arbeitsmarkt, der sich
nun wieder so positiv entwickelt, muss durch Übergangsfristen geschützt bleiben. Im
Rahmen des Kampfes gegen den Klimawandel muss auch das Transitproblem endlich gemeinsam
gelöst werden. Die SPÖ wird sich in der Bundesregierung für eine bessere
Informationsarbeit einsetzen, die die Vor- und Nachteile der Mitgliedschaft in der EU
objektiv und nachvollziehbar darstellt. Auf der Basis einer kontinuierlichen Information
und einer offenen Diskussion sind wir der Meinung, dass zukünftige Vertragsänderungen,
die die österreichischen Interessen berühren, durch eine Volksabstimmung in Österreich
entschieden werden sollen.
Sollte also ein geänderter Reformvertrag
neuerlich von Österreich ratifiziert werden müssen, so wollen wir den Koalitionspartner
von dieser Vorgangsweise überzeugen. Dies gilt auch für einen möglichen Beitritt der
Türkei, der unserer Ansicht nach die derzeitigen Strukturen der EU überfordern würde.
Wir wollen an einem Europa arbeiten, das sich an den Bedürfnissen und Wünschen der
Menschen auf diesem Kontinent orientiert, und damit das Vertrauen in dieses große
Einigungswerk wiederherstellen.
[Quelle:
Die Presse]
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