9. August 2008

Der Dichter Ottokar Kernstock, definitiv eine literarische Nullgröße, als eine Art Katalysator der Menschenverachtung ... falsch! Zu den Eigenschaften von Katalysatoren gehört, daß sie sich selbst nicht verbrauchen. Die Metapher hinkt. Gestern also "Die wehrhaft' Nachtigall" ...

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Von links: Die Künstler-Crew Elfi Scharf (mit ihrer Puppe), Birgit Lichtenegger, Richard Ludersdorfer und die Sprachwissenschafterin Charlotte Grolleg-Edler. Durch die Arbeit diesers Teams war einmal mehr ins Blickfeld gerückt, daß es eigentlich unannehmbar bleibt, Kernstock als Patron für Gassen, Plätze oder Schulen zu dulden.

Es gab allerdings kein Plädoyer zum Abreißen der Tafeln. Ich halte auch nichts davon. Denn erst müßten die nach Kernstock benannten Gassen, Plätze oder Schulen angemessen KOMMENTIERT werden. Wäre so über etliche Zeit wieder wahrnehmbar, welche unerträglichen Machwerke diesem Priester zu verdanken sind, sollte doch früher oder später unter den Anrainern solcher Orte das Bedürfnis entstehen, sich dieser Aufschrift zu entledigen.

Ich hörte gestern Einwände wie man müsse deshalb seine Visitenkarten ändern etc. Das Drolligste brachte eine Dame vor, die meinte, dieses Thema solle man vielleicht (vielleicht?) jetzt vor einer Wahl nicht forcieren. Warum? Es könnte aufgegriffen werden. Von wem? Von Parteien. Und? Es könnte verdreht werden. Auf welche Art? Mit welchem Effekt? Das wisse sie nicht.

So sind meine Leute. Haben gelegentlich eine diffuse Furcht, vermögen nicht einmal zu sagen, was genau eigentlich passieren könnte, was einem konkret drohen würde, falls ... aber mit dieser diffusen Sorge also besser nicht handeln, sich nicht exponieren, nichts anzetteln.

Nach Mitternacht waren wir in einem der Zimmerchen eines Gleisdorfer Pubs. Kulturschaffende unter uns. An einem Ort mit diffusem Licht, wo die Kellnerin, recht passend, auf die Bitte um Weißwein erwidert: Weißburgunder oder Grauburgunder?

Dort hatten wir noch einige heftige Debatten. Es ging dabei nicht zuletzt um die üblichen Nöte Kunstschaffender, materielle Nöte, versteht sich, denn wir verachten zwar den Kapitalismus und seine Konsequenzen, nehmen es der Welt aber auch krumm, daß sie uns einiges an materiellen Wohltaten vorenthält. Ein ärgerliches Dilemma. Wenn man begehrt was man verachtet.

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Ich hatte solche Zusammenhänge eben erst mit dem Kunstsammler Erich Wolf (rechts, neben dem Künstler Detlev Hartmann) erörtert. Wir hatten Konsens: Unter Kunstschaffenden findet man oft eine deprimierende Tendenz zur "Realitätsverweigerung". (Siehe dazu auch den Eintrag von gestern und Eintrag #90 bei "next code" zum Gespräch mit der Autorin Evelyn Schalk, weiterführend: Eintrag #91, Stichwort "Bastelbewegung in der Kunst"!)

Ich hatte vergangene Woche schon bei anderer Gelegenheit einem Kollegen vorgeworfen, ich meine, das Simplifizieren sei eines Künstlers unwürdig. Das hat eben auch mit Sprachregelungen zu tun. Mit Benennungen. Um ein simples Beispiel vorzubringen: Wenn ich in Berichten eine Barbara Wussow oder eine Anja Kruse als "Star" bezeichne, wie schreibe ich denn über Bette Davis? Eben! Ich muß über das faktisch Größere in Schweigen verfallen, weil mir adäquate Begriffe fehlen.

Ich hab mir heute morgen die nächtlichen Debatten in Erinnerung gerufen. Da war die Rede gewesen, wir Künstler würden "ausbluten", würden "verbluten", wenn wir uns nicht ausreichend auf künstlerische Praxis, sondern auch noch auf kulturpolitische Agenda konzentrieren wollten.

Es fiel mir dann ein, was ich an solchen Ansichten entsetzlich finde. Entsetzlich! Diese Unangemessenheit der Benennungen. Was wird denn hierzulande "geblutet", falls man weder auf dem Markt reüssiert, noch der Politik etwas zuzurufen vermag? Wie geht denn "bluten"?

Da wir gestern so intensiv beim Thema Kernstock gewesen sind, dann auch bei den Konsequenzen der medial verbreiteten Menschenverachtung, also bei der Legitimation des Faschismus, fiel mir der steirische Arbeiter Kolomann Wallisch ein.

Er war "Im Namen der Republik!", nämlich der Ersten Republik, wegen des "Verbrechens des Aufruhrs" in Leoben am 19. Februar 1934  "zum Tode durch den Strang" verurteilt worden. So geht nämlich das Bluten, wenn man sich dem Stand der Dinge unbedingt widersetzen muß:

Aus dem Verhandlungsprotokoll Strafsache Wallisch/Russ:
Vorsitzender: Haben Sie gewusst, dass Militär aus Graz kommt?
Angeklagter: Ja, das hab ich abends erfahren.

Miserabel ausgerüstet, geradezu lächerlich schlecht bewaffnet, waren Wallisch und seine Leute mit regulären Soldaten konfrontiert gewesen. Sie stellten sich den im Ersten Weltkrieg geschulten, bewaffneten Armen des Austrofaschismus:

Wallisch: Der eine hatte einen Revolver oder ein Gewehr oder sonst irgend ein Werkzeug.

So haben diese Leute für die Demokratie und gegen die Tyrannis eingestanden. Und ich soll mir heute anhören, man würde daran "verbluten", wenn man sich neben der Kunst auch noch um Belange des Gemeinwesens kümmern müsse?

Aus dem Verhandlungsprotokoll Strafsache Wallisch/Russ:
Angeklagter Wallisch gibt an, auf ein Begnadigungsansuchen zu verzichten; er bittet aber ebenfalls um Gewährung einer dritten Stunde, weil er noch mit seiner Frau sprechen und die Tageszeitung lesen möchte.

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