8. August 2008 next code: divan
HEUTE:
Die wehrhaft Nachtigall
Figuren- und Schattentheater
Eine zeitkritische Auseinandersetzung
mit dem Wirken von Ottokar Kernstock
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Noch immer wird der Priester Ottokar
Kernstock, ein drittklassiger Dichter, dessen Werk zu einem erheblichen Teil der
Menschenverachtung gewidmet war, völlig unkommentiert mit Straßennamen gewürdigt und
sogar mit der Patronanz über Volksschulen. Dieser Abend ist ein Beitrag zum Thema.
Cut!
Auf dem Weg nach Arnfels, wo der Künstler Detlev Hartmann
in einem beachtlichen Anwesen lebt, das gewissermaßen bessere Zeiten gesehen hat. Die
Spuren an diesem Anwesen, die alten Gerüche in manchen Winkeln, die Gerüchte von
vergessenen Tätigkeiten: Lebzelterei. Fuhrdienste. Das Vorführen von Stummfilmen mit
Klavierbegleitung.
Detlev Hartmann (links) und Erich
Wolf
Der Kunstsammler Erich Wolf sagt: "Als Sammler kehre
ich das Oberste zuunterst und will alles vom Künstler wissen." Kontext. Was hängt
wie zusammen? Welche Schritte führten zu diesem oder jenem Ergebnis? Womit korrespondiert
eine Arbeit im engeren und in einem größeren Zusammenhang?
"Daß ich bei einer Vernissage ein schönes Bild
gekauft habe, ist 30 Jahre her", sagt Wolf, was meint: Eine für sich stehende
ästhetische Qualität reicht ihm nicht als Anlaß zu kaufen. "Ich schau mir bis zur
Erschöpfung beider Seiten Bilder an." Sehen, sehen, sehen. "Ich hab ein
fotografisches Gedächtnis." Voll von Eindrücken zu sein hat zur Folge: "Dann
beginnt die Arbeit mit den Katalogen und der Literatur."
Das scheint ein intensives Ringen um Inhalte und
Zusammenhänge zu sein, um Ansichten und und Einsichten. Das "Dekorative" hat
dabei offenbar überhaupt keine Relevanz. Es zählen Ensembles von Werken UND das, was sie
ausdrücken, wovon sie erzählen; zuzüglich dessen, was zu ihnen geführt hat.
Vielleicht darf angenommen werden:
Mehr Zugriff kann man in redlicher Weise auf das Leben eines Anderen gar nicht bekommen.
Ihm oder ihr einen Lebensmoment entreißen, ohne daß jemand bluten müßte. Denn wer
künstlerische Praxis nicht als Dekorationsgeschäft ausübt, so nehme ich an, gibt
Lebensmomente, gibt Verläufe und Lebenszeit an die Werke ab, überträgt sie auf
Kunstwerke. Derart können sie, die Momente und Lebensanteile, einem quasi unblutig
genommen werden.
Keine Mutmaßungen über "auratischen Gehalt".
(Das ist ein anderes Thema!) Man könnte ebenso Fußspuren im Staub auf dem Boden
entdecken, in einem Raum, der zwanzig Jahre nicht betreten worden ist. Auch die tote Katze
in einem der Lagerräume des Anwesens eignet sich als anschauliches Beispiel. Gelebtes
Leben wird von Artefakten repräsentiert. Und weil wir eine Spezies sind, die mit Ausdauer
Deutungen vornimmt, Bedeutungen zuweist, bringen wir so die Dinge zum
"Erzählen".
Haben wir es dagegen eventuell mit
"Wanderlegenden" zu tun, dann sind die Artefakte entfallen, zurückgelassen, und
es ist bloß die Erzählung geblieben. (In der Kunst arbeiten wir mit ALLEN diesen
Optionen, mischen und verknüpfen sie, wie es gerade angemessen erscheint.)
Ich könnte Ihnen über diese tote Katze eine Geschichte
erzählen. Es ist völlig unerheblich, ob ich mir diese Geschichte ausgedacht habe, ob
diese Geschichte mir zugetragen wurde, ob sie von Fakten oder Fiktionen handelt. In der
Erzählung und in der Kolportage verwischt sich jede denkbare Grenze ziwschen diesen
beiden Kategorien: Fakten und Fiktionen.
Darin liegt genau die politische Sprengkraft der
künstleirschen Praxis. Dieser Anspruch auf Deutungshoheit: Es ist so, wie ich es
erzähle. Ich kann dabei keinen Einwand entgegennehmen, denn ICH bin der Autor dieser
Geschichte, ICH bin der Schöpfer dieses Werkes ... Sie verstehen?
Genau dieser Anspruch, die dazu nötigen Kompetenzen und
die daraus notwendigen Zugänge zu Öffentlichkeiten geben dem einen breiten Raum, was an
den Künsten als provokant empfunden werden mag.
Es ist nicht der Skandal das eigentlich Provokante, wie
viele meinen, die an auffallende Kunstereignisse denken. Den Skandal bekommen auch
spindeldürre Hotelerbinnen mit aufgeklebtem Lächeln hin. Den schaffen Finanzminister und
Baulöwen ebenso. Skandale sind eigentlich tief langweilig. Ein Geschäft der Arena.
Löwen, Gladiatoren, Skandale ... was solls?
Aber der Anspruch auf Definitionshoheit ...
Eine SEHR provokante Sache.
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