7. August 2008 Was immer
der gestrige Seitenauftakt naheliegend erscheinen
läßt, ich schwärme keineswegs bloß für mondäne Automobile, zu denen die E Type
zweifellos gehört.
Ich hatte den Großteil des Tages in Weiz zugebracht, wo am
Bahnhof in einem alten Hotel hungrigen Leuten günstige Menüs angeboten werden. Auf dem
Vorplatz entdeckte ich einen Opel D-Rekord in der Caravan-Version. ("Caravan"
sagt heute kein Mensch mehr.) Das Auto kam 1971 auf den Markt, also ein Jahr nach dem
Jaguar, mit dem ich vorgestern unterwegs gewesen bin. Genau in diesem Kontrast wird
deutlich, was der Begriff "Bürgerkäfig" meint.
Das Bürgerliche. Was mag das sein? Im erwähnten Lokal,
vormals Hotel Hammer, mögen solche Lokal ewig bestehen!, war dieses Thema zur Sprache
gekommen. Denn "bürgerlich" wollen wir Kunstschaffende bestimmt nicht sein.
Halt! Falsch! Wir wollen als das nicht gelten. Was immer wir sein mögen.
Vor diesen Erörterungen waren wir mit Leader-Managerin Iris Absenger
einige Aspekte dessen durchgegangen, was eine Verbindung von Wirtschafts- und Kunstagenda
zulassen könnte. Optionen. Grundlagen. (Ich predige es geradezu bei jeder sich bietenden
Gelegenheit: Wir sollten die "Freiheit der Kunst" nicht als ein Ticket für eine
"Freiheit der Künstler" halten. Da ist kein Freifahrtschein für jemanden von
uns hinterlegt worden.)
Später, nahe dem Bahnhof, dann diese dem Reich der
Legenden entstammende Mutmaßung: Ein Künstler, der einen Brotberuf hat, kann kein Guter
sein. Ein Guter lebt doch nur von seinen Werken, lebt nur von seiner Kunst.
Was für ein Schwachsinn! Woher kommt das bloß?
In wessen Diensten stand ein Bach? (Sein Vater Ambrosius
war Stadtpfeifer und Hoftrompeter. Er war Thomaskantor in Leipzig. ) Ist Goethe
Staatsbediensteter gewesen? Ja oder ja? (Er war in Weimar geheimer Legationsrat, Teil des
Ministerrates.) Ist Kafka nicht ein Versicherungsangestellter in Prag gewesen? (So sicher,
wie der Papst katholisch ist.)
Husch, herauf in die Gegenwart! Kollege Walter Kratner
nannte eine lange Liste von namhaften bildenden Künstlern, die Lehraufträge an
Universitäten hatten und haben. Was? Das sind keine "Brotberufe"? (Na,
künstlerische Praxis aber auch nicht, Leute!)
Der Dichter Alfred Kolleritsch, Sohn eines Forstverwalters:
Ein Mitteschulprofessor. Etc. etc. Wie viele Künstler meiner Generation kenne ich, die
sich gerade eine halbe oder noch geringere Lehrverpflichtung erhalten haben, um ihrer
künstlerischen Arbeit besser nachgehen zu können?
Man könnte auch umgekehrt fragen:
Sind jene, die keinen Brotberuf ausüben, die besten Leute auf dem Kunstfeld? (Oh! Ich hab
ja keinen Brotberuf.) Kratner meinte sehr treffend, es interessiere ihn überhaupt nicht,
ob jemand den maßgeblichen gelben Strich spät nachts, nach zwei Flaschen Wein,
hingesetzt habe, oder wann auch sonst. Und wie die betreffende Person den Rest des Tages
zubringe, sei ihm völlig egal.
Das ist nämlich einigermaßen irrelevant. Wie man seinen
Tag zubringt, ist in den meisten Fällen keine künstlerische Kategorie.
Dieses Bild hab ich gerade aus Serbien erhalten. Ein Moment
aus der "Art Klinika", die aus "LedArt" hervorgegangen ist. Wir werden
heuer Nikola Dzafo
und andere Leute von dort im Rahmen des Festivals "steirischer herbst" bei uns
zu Gast haben. ("next
code: exit")
Ob dort Künstler auf jeden Fall "von ihrer Kunst
leben"? Sehr lustig! (Was ist das überhaupt für ein Satz? "Von meiner Kunst
leben.")
Wie bringen denn in Serbien die Künstler ihre Tage zu? In
einem Land, wo man mit einem Durchschnittseinkommen auf rund 300 Euro im Monat kommt.
Weshalb der Sprit nicht viel billiger ist als bei uns, wie auch andere Güter, über die
wir gerne selbstverständlich verfügen.
Wie machen das die Leute in Rumänien, die vor den 1990ern
Gegenwartskunst, wie wir sie verstehen, kaum kannten? Was tun jene in der Türkei, wo es
diese Kunstformen vor Mitte der 1980er-Jahre kaum gab?
Ist das westliche Europa hier Maß der Dinge? Und falls ja:
Warum eigentliche? Vielleicht haben wir viel zu lange viel zu viel nach Paris geschielt.
Und nach New York. Auch wenn es das dann schon gewesen ist ... Viel Vergangenheit.
Unlängst hab ich "Jules und Jim" von
Francois Truffaut wieder gesehen. Die damals jugendliche Jeanne Moreau als hinreißender
Anlaß mehrfacher Männerverzweiflung. Eine bezaubernde Tragödie über Liebe, Kunst,
Begehren, Scheitern ... und ich hab mich bei diesem Film einige Male gefragt: Wovon leben
die denn? (Wissen wir nicht. Märchenhafte Boheme.)
Das größte Malheur wäre vielleicht, wenn wir längst
angefangen hätten, jene Legenden zu glauben, die wir selbst ausgestreut haben.
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