1. August 2008

next code: divan

HEUTE:
Ost-West-Passage I
(Erzählungen und Live-Musik)

Martin Krusche in der Begegnung
mit dem amerikanischen Singer-Songwriter
Chuck LeMonds

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Solche Tage mag ich sehr! Dicht auf dicht mit Kunstschaffenden, Debatten, Klärungen, Kontroversen, Aussichtslosigkeiten. Gestern saß ich mit Michael Geyer auf ein Plauderstündchen zusammen. Er wird ab 12. September in Gleisdorf eine große Werkschau haben, aufgeteilt auf zwei Ausstellungsorte.

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Mit Geyer verbindet mich seit jeher oder mindestens seit Jahrzehnten, nein, genauer: von ihm trennt mich tiefer Dissens in einer Reihe grundlegender Fragen. Daß er nun genau mich gebeten hat, zu dieser Werkschau anläßlich seines 60. Geburtstages einen literarischen Akzent zu setzen, bestärkt mich in der Überzeugung, daß dieser Prediger der Untugend, immun gegen Mahnungen und resistent gegen Läuterung, sich sehr genau überlegt hat, wie er mich am besten ärgern könnte.

Wir sind uns also einig geworden und ich werde die verfügbare Zeit nutzen, mich mit der Sache zu befassen.

Nachdem ich vorigen Monat die Polemik "Pur" (Über Legenden, Klarheiten und die Kunst) geschrieben habe, denke ich an eine Fortsetzung mit dem Titel "Üppig" (Neue Klarheiten über die Kunst zuzüglich dem gut gemeinten Rat, Michael F. Geyer nicht zu heiraten).

Ich habe mich mit Geyer auch über den Maler Hannes Schwarz unterhalten, von dem ich eben wieder eine Lektion erhalten hatte. (Siehe "next code" Log #88!)

Von Schwarz stammt eine sehr unaufgeregte Folgerung, als ich ihn auf einer kleinen Reise gefragt hatte, worin sich Meisterschaft zeigen würde. Schwarz: "Im Ergebnis. Meisterschaft zeigt sich im Ergebnis." Punkt! Ende der Durchsage!

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Das bleibt unterm Strich, was ich dann abends einem anderen Kollegen klar zu machen versuchte, der mit großer Ausdauer Verschwörungstheorien pflegt und beteuert, über zwei Jahrzehnte praktischer Erfahrung im Kunstbetrieb handle davon, daß jeder Galerist ihn als Künstler gering schätzen würde, wenn er hörte, der Kollege sei Mittelschullehrer.

Warum sollte diese Annahme zutreffen? Ich vermute ja eher, wenn einer Professor ist, kommt unterm Strich eben Professoren-Kunst heraus. Es steht einem dabei immer frei, ein exzellenter Maler zu sein, wie eben Schwarz, der so viele Jahre Lehrer gewesen ist, dessen Oeuvre ganz einfach eine Qualität hat, die für internationalen Rang vorauszusetzen wäre. (Siehe dazu auch "next code" Log #89!)

Cut!

Um die gestrigen Überlegungen zu ergänzen:
Ich gehe davon aus, daß der Sezessionskrieg Jugoslawiens keinesfalls eine bloß "innerjugoslawische" Angelegenheit war und ist, sondern daß auch eine ganze Menge an verdeckten Intentionen von außen hineingewirkt haben.

Ich bin überzeugt, daß westliche Nationen dabei intensiv interveniert haben. Völlig im eigenen Interesse, nicht im Interesse auch nur eines der südslawischen Völker oder der Albaner. Der öffentliche Diskurs über Jugoslawien ist mir bei uns viel zu oft in der alten Abschätzigkeit erschienen, die nach dem Zweiten Weltkrieg sehr verbreitet war. Lothar Struck hat dazu eine interessante Überlegung von Handke ins Deutsche übersetzt:

>>Unser ehrwürdiges Europa hat sein Herz verloren: Jugoslawien war während des Zweiten Weltkrieges das Land, das sich (fast) allein von der nazistischen Besatzung befreit hat. Was dächten sie heute, diese Partisanen, die damaligen Widerstandskämpfer, die Slowenen, die Kroaten, die Bosnier, die Serben, die Mazedonier und auch die Albaner, den Refrain hörend (präsidial geworden), dass das große Jugoslawien, für das sie zusammen gekämpft haben, seit jeher ein "künstlicher Staat" war und das seine Zerstörung gar kein Riss und vor allem keine Tragödie sei?<< [Quelle Struck] [Quelle Le Figaro]

Ich stimme dem zu und meine, bewußt polemisch, wir haben zugelassen und teilweise zugestimmt, daß Jugoslawien zerstört, aus inneren und aus äußeren Gründen zerschlagen wurde. Dadurch hat Europa einen erheblichen kulturellen Schaden erlitten. (Und überhaupt! Welcher Staat wäre nicht künstlich? Wo formiert die Natur Staaten?)

Cut!

Ach, DAS ist MEIN Österreich. Selbst unter Intellektuellen, die schon ein Weilchen praktische Erfahrung haben, ihren Verstand zu benutzen, sind nicht alle gerüstet, Widerspruch zu ertragen. Dissens gilt offenbar als Makel. Widersprüche müssen eliminiert werden. Oder es gibt Krach. Zum Beispiel Unterstellungen wie diese gestern bei mir eingegangene:

>>wer weiss, wahrscheinlich kriegst auch du gelder aus dunklen belgrader kanaelen. bei deinen persoenlichen beziehungen durchaus denkbar. neue moeglichkeiten sollen sich dir eroeffnet haben. aber einen orden, wie der bloedmann handke demnaechst, wirst du nicht bekommen.<<

Das ist eine Stimme des Kalten Krieges. So wurde in meiner Kindheit geredet. Wenn jemand vorherrschenden Meinungen widersprach, mußte er ein von den "Kummerln", den Kommunisten, ein von den "Roten" bezahlter Agent sein. So tönt das katholische Österreich der Gegenreformation.

Es sind dann genau solche Zeitgenossen, die sich als Wasserträger der Tyrannis hervortun. Mit Dissens können sie nicht leben. Wie ein nervöser Despot schlägt so einer alles aus, was ihm nicht zustimmt, schlägt auf alles ein, was ihm widerspricht. "Die Anderen" müssen demnach "Die Bösen" sein. Woran erkennt man "Die Bösen"? Daran, daß sie die Dinge nicht gleich sehen und bewerten. Autor Michael Roloff schrieb mir dazu dieser Tage:

>>there is something to be said for priests then blessing us in our ignorance, and stopping all this blaming! the serbs did it, no the frigging turks are to blame. i realized some years ago that revenge makes the world go around, i.e. narcissistic injuries; "you fucked my wife;" "you killed by brother - and i will never forget any of it! not for a thousand years" look at the sunnies and the shiits in the middle east. certainly it is not love that makes the world go round or "understanding", which is what you end up from psychoanalysis... xx mr<<

[Zu Peter Handke]


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