9. April 2008

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Diese Erörterung alter, beziehungsweise gealterter Medien, wie ich sie vorgestern angerissen hab, führt mir selbst vor Augen, welche Art von Beschleunigung unsere Kultur durchläuft. Ich hab die Objekte wenigstens alle noch in Händen gehabt. Wozu sogar ein Grammophon gehörte, dessen Werk mit der Handkurbel aufgezogen werden mußte. Sowas besaß ich als Kind, bevor ich einen elektrischen Plattenspieler erreichte.

Was für eine grobe mechanische Lösung ist da eine Tonband-Kassette gegenüber einem zeitgemäßen MP3-Player. Kassetten haben zwar in der Kleinkinderzeit meines Sohnes noch eine Rolle gespielt, er hat sie selbst darüber hinaus aber nie verwendet. Sein Mobiltelefon kann heute mehr, als in meinen Teenagertagen eine stolz dimensionierte "Kompaktanlage" leistete. Ich darf außerdem annehmen, mein sohn hat nicht die geringste Ahnung, daß genau solche Kassetten anfangs auch als Datenträger für preiswerte "Heimcomputer" gedient haben.

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Das Rauschen als genuiner Anteil des Hörbaren, die Streifen des Abriebs auf alten Filmen als zugehöriger Teil des Sichtbaren. Unsere Wahrnehmung ist mehr als gut gerüstet, sich nicht mit glatten Oberflächen und makellosen Ereignissen zufrieden zu geben. Vielleicht wäre sogar festzustellen, daß ohne Interesse und Gefallen an Unschärfen, an Interferenzen, an den "Bröseln der Kohärenz", menschliche Gemeinschaft gar nicht gelingen könnte.

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Wozu mir ein passendes Exempel einfällt, denn ich hatte gestern Gelegenheit, mit drei Herren eine Flasche chilenischen Rotweins zu leeren, da ist diese Option, die Verbindung über die "Bröseln der Kohärenz", gewissermaßen das Floß, auf dem wir uns treffen. (Ja, schwankender Untergrund. Nicht des Weines wegen. Auch Metaphern sind sehr wichtige Verständigungsmittel.)

Links steht der Sozialhistoriker Robert Hausmann, mit dem ich heuer eine der Sessions zu "next space" realisieren werde. In der Mitte Architekt Peter Lidl, in dessen Haus wir kommenden Samstag "next code: cruise" eröffnen. (Dabei ist der Beschleunigungswahn in unserer Kultur implizites Thema.) Und rechts der Lehrer Wolfgang Seereiter, maßgeblicher Proponent des Gleisdorfer "Weltladen". Diese Einrichtung wird zwar von außen gerne als "Geschäft" verstanden, im Grunde ist aber mehr noch eine soziokulturelle Initiative.

Daß es dort wie anderweitig kaum klappen würde, wenn es ökonomisch nicht abheben könnte, ist eigentlich selbstverständlich. Das gilt für den Kultur- und Kunstbetrieb gleichermaßen. Aber da gibt es in den öffentlichen Diskursen allerhand blinde Flecken. Daß dabei gelegentlich hart um die Bedingungen gemeinsamer Vorhaben zu verhandeln ist, zählt nicht zu den beliebtesten Beschäftigungen im Kulturbetrieb.

Aber zurück zu den Interferenzen und den "Bröseln der Kohärenz". Ich vermute, auf solchen Möglichkeiten beruht auch, was wir als "bürgerlicher Öffentlichkeit" errungen haben und als Grundlage einer zeitgemäßen Demokratie verstehen. Denn so oder so, die "Praxis des Kontrastes" bleibt in all dem eine unverzichtbare Übung. Auf Dauer. Der "Weltladen" spielt übrigens im Rahmen dieser Plauderei auch noch eine weitere Rolle.

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Dort werde ich nämlich mit dem Singer-Songwriter Chuck le Monds einen Abend im Rahmen von "next code: divan" realisieren. Ich habe es schon mehrfach betont: Wenn man nur lange genug nach Westen geht, kommt man erst wieder im Osten an. So ist das eben mit unserer Welt. Davon kann auch Chuck erzählen; wie von einem Amerika, das eben NICHT ein Amerika der "Bushies" ist. (Wer von denen hat bloß gerade gesagt, man werde nicht in den "Abgrund der Niederlage" blicken? Davon handeln ja so manche Ost-West-Katastrophen. Daß in solchen Bildern und Kategorien gedacht wird.)


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15•08