31. August 2007
Es gibt allerhand darüber nachzudenken, was
das Öffentliche und was das Private sei. Vor allem aber wie sich beides zu einander
verhalten möge. Was mich an einen Mann erinnert, der mir das Fehlen von Nummerntafeln an
seinem Auto augenzwinkernd so kommentiert hat: "Dann brauch ich auch keine Strafe
zahlen."
Das ist zugleich ein sehr verschmitztes
Statement zum Zusammenhang zwischen Symbolen und realen Lebenssituationen. Marken und
Markierungen kommen auch anders zur Anwendung. Beispielsweise auf jene rührende Art, die
ich schon für etwas Versunkenes hielt. Es stand dieser Tage auf einer lokalen Website:
@Georg Wallner
Sehr geerter Wallner!
Sind sie so unzufrieden?
Aber Sie könnten ja mit Hr.Drexler nach Russland auswandern.
28.08.2007 11:05
Das ist die Rede der Stammler in den
Sprachregelungen des Kalten Krieges. So einer meint erstens: Halt die Fresse! Denn er
weiß nicht zu argumentieren, handelt daher so, wie angeblich jene, zu denen er seinen
Opponenten schicken möchte.
So einer meint zweitens, daß an unserem Lande
nichts zu arbeiten und folglich nichts zu mäkeln sei, an dieser blütenweißen Demokratie.
Dafür muß ihm Rußland als Referenzpunkt herhalten.
Ich hab eben
erst einige Anmerkungen zu unserer Demokratie gemacht; wenn man feststellen muß, daß
überforderte Polizei foltert und tötet, Rassismus hochgeht und Menschenleben kostet, gut
situierte Herren die Demokratie ausplündern, in den letzten Jahren auch ein Mangel an
Pressefreiheit festzustellen war, dann ist da gerade NICHT von Rußland die Rede, sondern
von Österreich. Factum est!
Demnach wäre solchen Absendern ihre Post in
den Rachen zu schieben, auf daß sie ihre Ansichten noch einmal durchkauen mögen, um zu
klären, was hier wie da der Fall ist und wer eigentlich wofür wohin verschickt werden
könnte, was man überdies von unseren Grundrechten hält, an denen etwa Meinungsfreiheit,
Religionsfreiheit etc. vielen offenbar lästig geworden sind.
Daß mit solchem undemokratischem Geschwätz
andere Demokratie gelehrt werden will, ist mehr als komisch. Aber es muß wohl der
Demokratie zugestanden sein, daß man in ihrem Schoße auch als ihr Gegner gut aufgehoben
ist. Das halte ich für ein wichtiges Prinzip.
Über solche erlesenen Blödheiten, "Dann
geh doch nach drüben!" "Dann geh doch nach Rußland!", tröste ich mich
gerne mit der Weite und Vielfalt dieses Europas. Rußland sollte man einmal gesehen haben.
Oder die Türkei. Das sind Bezugsgrößen europäischer Identitäten, denn ohne die
Einflüsse aus diesen Regionen gäbe es dieses Europa gar nicht.
Das Tröstliche liegt unter anderem in den
Bildern und Erzählungen, auch in den Filmen. Die von Leuten, wie dem oben zitierten
Menschen, ersehnte Komplexitätsreduktion, Grundübung des Nationalismus, der manchmal
ganze Völker verbrennt, steht im heftigen Kontrast zu dieser Vielfalt, den
Widersprüchen, Einwänden, Leidenschaften und Klängen dieses Kontinents.
Ich habe mich eben erst von Fatih Akins Film
"Gegen die Wand" [link]
bewegen lassen, in dem Deutschland und die Türkei verzahnt werden, in dem ich das
Istanbul wiedersehen konnte, in dem ich eben erst gewesen bin. Die Brüche leben, statt
jeden, der einem widerspricht, in die Wüste zu schicken ... Davor war ich von Marianne Faithfull beeindruckt, die als Maggie in Sam
Garbarskis "Irina Palm" [link] Wege öffnet, wo nur mehr Sackgassen und Abgründe zu sein
scheinen.
Ein klare und witzige Lektion darüber, wie Frauen manchmal
um eine Zukunft kämpfen, wo Männer in großen Gesten leer laufen, statt zu handeln.
Dazwischen hat mich Penélope Cruz als Raimunda umgehauen. |
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Vor allem wo sie in Pedro
Almodóvars "Volver" [link] für ihre Tochter singt, die eigentlich auch ihre Schwester ist.
Üppiges Europäisches Kino. Und reichhaltige
Gegenwelt zu diesen eindimensional denkenden Schwätzern, die, wenn es zu einer
Meinungsverschiedenheit kommt, gerade noch herausbringen: "Aber Sie könnten ja mit
Hr.Drexler nach Russland auswandern."
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