24. Juli 2007

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Der Film "Die 120 Tage von Sodom" war ein ungeheurer Skandal und dürfte noch heute das Zeug haben, Menschen zu beunruhigen. In einem Gespräch über diesen Film und dessen Motive sagte Pier Paolo Pasolini:

>>Nichts ist anarchischer als die Macht. Die Macht macht, was sie will. Und das ist völlig willkürlich, oder es folgt ökonomischen Erfordernissen.<<

Es weist nichts darauf hin, daß sich diese Auffassung heute entkräften ließe. Aus der eurozentrischen Betrachtung der Geschichte leitete Pasolini konsequent eine "Inexistenz der Geschichte" ab.

Es liegt auch an solchen Zusammenhängen, daß die Provokation der westlichen Demokratien durch Dschihadis mit ihrer extremen Gewalttätigkeit, die wir vorzugsweise als "sinnlose Zerstörungswut" begreifen, wächst und wächst, während maßgeblichen obersten Befehlshabern nicht einleuchten will, daß herkömmliche militärische Mittel an diesem Problemkomplex völlig versagen.

Wo die Willkür der Macht sich mit ökonomischen Interessen paart, wo die eigene Kultur als normativ und "das Andere" als inferior behauptet wird, eskalieren die Verhältnisse eben. Europa (und mit ihm Amerika) vergißt die eigene Saat, die man mit Pasolinis Worten gut und knapp skizzieren kann. Wovon das handelt, fand ich in einem Buch von Historiker Jürgen Osterhammel so formuliert:

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Überprüft man nun allfällige Kontinuitäten entlang der Ereignislinien von Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg, läßt sich leicht belegen, daß sich bloß die Methoden der Versklavung "der Anderen" verändert haben.

Cut!

Jörg Vogeltanz schrieb mir zu meinem gestrigen Eintrag:

>>da bist du nicht auf der höhe der zeit: laut us patriot act lautet die verhaftungsformel für potentielle terroristen übersetzt in etwa so: "Sie wurden von homeland security als möglicher feindlicher kombattant eingestuft, der terroristische angriffe auf nationale ziele auszuführen
plant oder ausgeführt hat. Sie haben kein recht, einen anwalt einzusetzen. Ihre bürgerlichen rechte wurden außer kraft gesetzt. Sie haben kein recht, die aussage zu verweigern." oh brave new world....<<

Cut!

Es mag ja, volkstümlich gedacht, manchen Menschen plausibel erscheinen, daß man Geiselnehmer foltern, Terroristen abschießen und andere Problemlagen vergleichbar lösen möchte, ohne sich dabei vom Völkerrecht und von der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ behelligen zu lassen. Dabei fällt bloß mindestens unter den Tisch, daß diese Rechte auch einen selbst schützen. Wenn sie für andere fallen, fallen sie für uns alle.

Der Völkerrechtler Franz Leidenmühler stellt außer Zweifel, daß der präventive Abschuß eines Passagierflugzeuges ein Verbrechen wäre.

Er schrieb in "Der Standard", selbst wenn eine Regelung dafür erfunden würde, wäre sie verfassungswidrig und hätte keinen Bestand. Warum wohl?

Die Europäische Menschenrechtskonvention ist in Österreich seit 1958 in Kraft. Sie hat Verfassungsrang. Ihr "Artikel 2 – Recht auf Leben" besagt folgendes:

>>Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.<<

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Weil es grade nahe liegt, hier auch der kurze und prägnante
"Artikel 3 -- Verbot der Folter: Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

Ist daran irgendetwas schwer zu verstehen?

Ich weiß schon, da wäre dann gelegentlich die Frage: „Und wenn jemand dein Kind in seiner Gewalt hätte? Was würdest du tun?“

Das ist ein Fangfrage. Sie ist für die Klärung, was rechtens sei, völlig unzulässig. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich nehme an, mein Wollen wäre extrem unzivilisiert, wenn jemand mein Kind bedrohen, quälen oder gar töten wollte. Ich nehme an, man dürfte mir so eine Person nicht in die Hände geben. (Das sind natürlich bloß Mutmaßungen.)

Aber das ist nun der wesentliche Punkt: Eben WEIL man sich über Emotionen und Phantasien der Menschen anläßlich solcher Vorfälle keine Illusionen machen darf, ist es in einer zivilisierten Gesellschaft den Opfern oder den Angehörigen von Opfern untersagt, Täter in die Hände zu bekommen, über sie zu richten. Eben deshalb gilt das Prinzip „Recht statt Rache“, an dem sich die Praxis zu orientieren hat.

Das ist keine philantropische Freizeitübung. Das ist ein recht pragmatisches Fazit aus wenigstens zweitausend Jahren Rechtspraxis, in der sich heute vor allem die Frage stellt, wie sich Faustrecht und Tyrannis, wie sich ein „Recht des Stärkeren“ verläßlich eindämmen, unterbinden lassen.

Aus diesen Gründen ist es mir unbegreiflich, warum in Europa die Provokation durch die Dschihadis, durch eine wachsende Weltuntergangs-Sekte, dadurch beantwortet wird, die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ zu schwächen, das Folterverbot auszuhöhlen und etwa staatlich legitimierten Mord auch nur zu debattieren. Ob das den präventiven Abschuß einer Passagiermaschine betrifft oder die gezielte Tötung von Verbrechern ... Dies ist nicht Amerika!


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30•07