26. Juni 2007 Lebenslügen.
Wer beitragen mußte, die Geschichte einer Nation zurechtzulügen, glaubt natürlich
irgendwann die selbst gesponnen Legenden. Das könnte man als private Verhaltens-
Originalität abtun, wenn es nicht auch danach verlangen würde, die Nachgeborenen in
dieses Legendspinnen zu verwickeln. Solche Leute korrumpieren ihre Kinder. Sie versuchen,
alles in ihrem Sinn umzudeuten und alle Beteiligten in ihre Inszenierungen zu zwingen.
Warum?
Ganz einfach. Weil sie sonst früher oder später gezwungen
wären, ihre Legenden aufzublättern, zu prüfen, zu revidieren. Das haben aber, gemessen
am Rest der Schweigsamen, nur die Wenigsten auf sich genommen.
Genau das sind Zusammenhänge, in die meine Generation
geboren wurde. Dieses Drecksgeschäft wurde privat (in Familien) und öffentlich (in
staatstragendem Rang) gepflegt und am Laufen gehalten. Versöhnung mit einem der nichts
gewußt haben will? (Quelle: "Der
Standard")
Versöhnung mit dem alten Herren, der genau dieses
Drecksgeschäft, das Legendenspinnen, vom höchsten Staatsamt aus exemplarisch promotet
hat? Es reicht doch, daß er in Wohlstand sehr alt werden durfte. Nachdem von seiner
einstmals hohen Position aus (Präsident dieses Landes) erhebliche Legitimation ausging.
Für all jene, die tatsächlich Täter, Verbrecher der Nazi-Ära gewesen sind. Was er, wie
man heute für gesichert hält, nicht war: Ein Verbrecher.
Aber! Es fokussiert sich alles in diesem Satz (Quelle:
"Der Standard"), der von
jemandem seines Ranges nie hätte gesagt werden dürfen:
Kurt Waldheim, vormals UNO-Generalsekretär und
Bundespräsident Österreichs, ist kein Kriegsverbrecher gewesen, nicht einmal ein Nazi,
wie es heißt. Gut. Und ich will auch glauben, daß er nicht wußte, was er hätte wissen
sollen. Vielleicht weil er tatsächlich ahnungslos war, vielleicht weil er es später in
sich vergraben hatte. Egal. Beides erscheint mir denkbar und ich hab daran nichts
auszusetzen.
>>Adolf Eichmann hatte immerhin 50.000 Juden aus
Saloniki deportieren lassen, ein Viertel der Bevölkerung. Fast vier Wochen lang gingen
täglich Züge mit je 2000 Gefangenen in Richtung der Vernichtungslager Auschwitz und
Treblinka. Konnte das dem jungen Offizier verborgen geblieben sein?<< [Quelle]
Waldheim wurde für mich erst durch sein Handeln in der
Zweiten Republik zum "Häßlichen Österreicher". Weil er verschwieg und/oder in
der folgenden Kontroverse nicht als Thema zuließ, was evident ist.
Ab dem April 1943 gehörte der Offizier Waldheim der "Heeresgruppe
E" an. Der Stab dieser Heeresgruppe residierte in Saloniki in Nordgriechenland.
Waldheim zählte zum Stab General Alexander Löhrs. Da war man unter anderem mit folgenden
Aufgaben befaßt: Die Deportation von rund zehntausenden Juden in die Konzentrationslager
Auschwitz und Treblinka. Die Abtransporte italienischer Gefangener in das Deutsche Reich
zu einem Zeitpunkt, da zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien kein
Kriegszustand herrschte.
Wenn so viele Menschen aus einer Stadt geschafft werden,
die zwar etwas größer als Graz ist, aber keineswegs eine Großstadt, müßte das schon
nach bloßem Augenschein irgendwie zu bemerken sein. Ganz zu schweigen von der enormen
Logistik (Transportmittel, Verpflegung), die es benötigt. Kurz: Ich glaube Walheims
Beteuerungen nicht. Aber das ist unerheblich, weil meine Ablehnung des alten Herren und
jungen Toten nicht in der Nazi-Ära begründet ist, sondern in seiner Haltung während
seiner Präsidentschaft.
Darum nehmen wir ruhig an, der Herr Stabsoffizier hatte
keinerlei Eindruck, Information, Annahme von den Verbrechen auf dem Balkan. Er muß auch
nichts von Massakern an jugoslawischen Partisanen und der Zerstörung unzähliger Dörfer
in Westbosnien gewußt oder geahnt haben.
>>... Details aus Waldheims verschwiegener Zeit im
Balkankrieg zutage: seine Funktion in Löhrs Stab, die Verleihung der Zvonimir-Medaille,
einer Auszeichnung des mit den Nazis kooperierenden Ustascha-Regimes in Kroatien, und
seine 1942 erfolgte Zuteilung als Dolmetscher zur "Kampftruppe Westbosnien" der
Heeresgruppe E, die an Kriegsverbrechen beteiligt war.<< [Quelle]
Es ist der Legitimationsakt, den Waldheim durch sein
Verhalten in der Kontroverse generiert hat, an dem ich mich unversöhnlich stoße. Dieses
Herausstellen der "bloßen Pflichterfüllung", dieser schreckliche Satz, der
allen Tätern ein Trost gewesen sein muß: "Ja, es war schlimm, aber es war eben
Pflicht."
Das Schweigen der Täter und ihrer Bürokraten ist in die
Leben danach eingegangen. Das Stricken von Legenden, das Durchwirken anderer Existenzen
mit dem Leugnen und der Pose der Aufrechten, dieses unerträgliche Geschwätz einer sehr
merkwürdigen Auffassung von Pflicht, die mindestens retrospektiv hätte revidiert,
bloßgestellt werden MÜSSEN, dieses eigennützige Korrumpieren seiner Mitmenschen wie
seiner selbst ist der Eingang in die Mitschuld.
Nun schert mich aber die Schuldfrage wenig, weil sie
einerseits eine Sache ordentlicher Gerichte ist, andrerseits Gegenstand moralischer
Debatten. Mich beschäftigt die Frage der VERANTWORTUNG. Wovon handelt Verantwortung für
all das? Wie übernimmt man sie? Von welchem Tun handelt solche Verantwortung? Genau darin
ist der häßliche Österreicher Waldheim von seinem hohen Amte aus unzähligen Menschen
in die Arme gefallen.
[Dr. Kurt Waldheim: Ein letztes Wort]
[Wir
Kinder des Kalten Krieges]
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