14. Mai 2007
Nina hüpfte so hoch, daß mir schien, sie könnte mit dem
Kopf an die Decke knallen. Der Grund dafür? Die Freude darüber, daß ihre Favoritinnen
den "Eurovision Song-Contest"
gewonnen haben. Eine aus dem Ensemble gehört zu ihrer Familie, ist die Cousine ihrer
Mutter. Sag nicht Tante! meinte Nina zu mir energisch. Wie dann?
Na Ivana. Der Name wird auf dem i betont.
Ein Weilchen vor dem Finale war eine SMS gekommen, die mit
dem Wort Sejo begonnen hatte. Seja ist eine eher antiquierte
Version des serbischen Wortes Sestra = Schwester. Für Ivana Selakov war von
Helsinki praktisch noch nicht viel greifbar geworden. Die SMS ist gewissermaßen ein
elektronischer Seufzer gewesen. Jeden Tag Proben, Proben, Proben, Frisur, Kosmetik,
anstrengende Abläufe.
Es ist vor allem für die jungen Menschen in Serbien ein
wichtiger Prestige-Gewinn, daß ihre Leute diesen Bewerb gewonnen haben. Denn quer durch
Europa dominieren vielfach Ressentiments gegenüber dieser Nation, da es häufig
vorgezogen wird, einfach zu assoziieren und den Menschen zuzuschreiben, was den
Sezessionskrieg (unter anderem!) zum Fanal gemacht hat: Das Volk und die Rolle Serbiens,
das Regime von Milosevic, die kriminellen Paramilitärs, die Verbrechen, von denen man in
diesem Konflikt südslawischer Völker gehört hat. Die Konsequenz ist eine anhaltende
Abschätzigkeit, welche vorzüglich an die alten antislawischen Ressentiments des
"Westens" andockt.
Wer sich fragt, was genau damit gemeint sein
könnte, erfährt es zum Beispiel durch einem Blick in die gestrige Ausgabe der Kleinen Zeitung. So denken und schreiben Leute, deren Volk die Mitverantwortung für
den Holocaust zu tragen hätte. Das ist eine ganze Menge Herablassung für Menschen, die
auf das Begreifen historischer Zusammenhänge weitgehend verzichten.
Daß der zuständige Redakteur derlei nationalistisches
Geschwätz zur Publikation frei gibt, macht wenigstens sichtbar, wie sehr man bei uns
genau die Probleme hat, die man anderen unterstellt. Nebenbei: Jugoslawien, das hier auch
gemeint ist, war nie Teil des "Warschauer Paktes", weshalb auch seine
Nachfolgestaaten keine "ehemaligen Ostblocknationen" sein können.
Daß der Herr Fürntratt also Unsinn von sich gibt, mag man
ihm als freie Meinungsäußerung zugestehen, ein leitender Redakteur sollte dem Thema
Europa jedoch besser gewachsen sein. Aber wovon handelt gerade dieser Song-Contest
eigentlich? |
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Ivana Selakov ist (wie Sängerin Marija Serifovic und die
anderen Frauen des Ensembles) Teil dessen, was Milan Bosnic und Milica Milicevic Die
verlorenen Generationen Milosevics nennen.
Das Land hat einen enormen Brain-Drain erlitten. Viele gut
ausgebildete Leute waren fortgegangen, weil ihnen in der Heimat keine Zukunft möglich
schien. Embargo und Restriktionen sorgen immer noch dafür, daß das ohnehin schwierige
Leben dort für kaum jemanden leichter wird.
Die aktuelle politische Entwicklung zeigt die
vorhersehbaren politischen Früchte solcher Bedingungen. Extrem nationalistische Kräfte
gewinnen Terrain, statt marginalisiert zu werden. In Europa ist noch jedes Land weiter und
weiter nach rechts gerutscht, wenn der Druck auf die Bevölkerung nicht gemindert werden
konnte. In einem Statement von Bosnic und Milicevic heißt es unter anderem über ihre
Leute in der Diaspora:
>>Die meisten verdienen sich ihren Lebensunterhalt
mit schweren, unterbezahlten Arbeiten, während ihre Hochschuldiplome in den Koffern
liegen bleiben. Das ist nicht bloß wegen der steigenden Arbeitslosigkeit in diesen
fremden Ländern so, sondern auch wegen der Haltungen, die man gegenüber den Leuten aus
Serbien eingenommen hat.<<
(Das komplette Statement steht HIER.) Dieser Text gehört zu einer Serie von Arbeiten, von denen wir
einige gerade in unserer Station nobody
wants to be nobody zeigen. Bei uns wollte diese Fotos bisher niemand
sehen, hatten mir die beiden dazu geschrieben.
[Der
"Balkan-Reflex"]
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