12. September 2006
Das Flugzeug, mit dem ich zurückgekommen bin, trägt den
Namen "Sofia". Wie die bulgarische Hauptstadt. Balkan-Querbezüge. Außerdem
bedeutet das Wort: Weisheit. Neben mir hatte ein Mann gesessen, der in Österreichs neues
Boulevardblatt vertieft war, das Serien von Portraitfotos der jüngst entflohenen Natascha
Kampusch enthielt. Die Frau war als zehnjähriges Mädchen gekidnappt worden und als
Achtzehnjährige ihrem Entführer entkommen.
Ich fand das Outfit von Kampusch insofern bemerkenswert,
als Bilder wie dieses (Quelle: "news")
in unserem Land gewöhnlich sehr oft "Kopftuch-Debatten" anstoßen. Wäre das
also eine junge Muslima, könnten sich populäre Ressentiments daran entzünden. Als
derzeit "everybody's darling" ist Kampusch davon wohl ausgenommen. Auf welchem
Niveau vaterländische Stimmungen gepflegt werden, illustriert ein Vorfall der letzten
Tage sehr anschaulich:
>>Im TV-Duell mit SPÖ-Vorsitzendem Alfred
Gusenbauer sorgte BZÖ-Chef Westenthaler
für einen peinlichen Höhepunkt des Wahlkampfs. Empört präsentierte er die
vermeintliche Antwort des österreichischen Alpenvereins auf einen Brief von
SPÖ-Landtagsabgeordneten Omar Al-Rawi. Inhalt: Al-Rawi soll gefordert haben, dass die
österreichischen Berge nicht mehr mit Kreuzen, sondern mit Halbmonden geschmückt werden
sollen.<< [Quelle]
[Balkan-Reflex]
Cut!
Zu "Exociti"
gehörten einerseits die Aktionen in den Straßen Istanbuls. Andrerseits themenbezogene
Arbeitsrunden, die sich je auf einen Vortrag stützten, um in Debatten zu führen. Selim
Birsel hat mir später bei einer Wanderung durch den "Belgrade Forrest"
erzählt, daß zeitgenössische Kunst, wie wir sie repräsentieren, in der Türkei
eigentlich erst seit etwa 1985 bekannt ist.
Ich hatte die erste Session der Veranstaltungsreihe. (Foto:
Deniz Gül) Gute Gelegenheit, weich gepolstert zu ruhen. Denn die Tage waren von
kilometerweiten Gängen bestimmt. Und die Nächte von kühlen Drinks in Häusern, die
teils bis zur Dachterrasse in jedem Geschoß ein Lokal beherbergen.
Über die Situation Kunstschaffender läßt
sich verkürzt sagen, wir teilen viele Intentionen, die Bedingungen der Arbeit erscheinen
extrem kontrastreich. Oben sieht man Christian Hillesoe aus Dänemark (links) und Amirali
Ghasemi aus dem Iran live an der Cocktailbar. Mit denen mir klar wurde, daß uns
"unser Europa" keineswegs gar so klar ist. Denn die nordischen Länder und ihre
Umstände sind mir genau so fremd wie etwa der Iran. Die Annahme, "wir
Europäer" hätten sowieso Gemeinsames, über das südöstlicher lebende Menschen
NICHT verfügten, ist blanker Unfug. Von links Evinz Dogan, Övül Durmusoglu aus der
Türkei und Karri Kuoppala aus Finnland:
Wenn also etwa der vaterländische Hace Strache, mit dem
ich ein Gespräch hatte, uns zu sagen wünscht,
Europa sollte eigentlich nicht einmal bis Rumänien / Bulgarien reichen, wenn er überdies
alles Nördliche fraglos einschließt, Südliches sehr flott ausschließt, dann zeigt er
sich als Nationalist alter Schule. Der die Historie zwar als Legitimation benutzt und
beansprucht, sie inhaltlich aber verhöhnt und ignoriert.
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