10. Mai 2006 / II Protest
von Autoren und Verlegern - erschienen in Le Monde
am 4. Mai 2006:
Achtung statt Ächtung
Am 6. April 2006 erschien in der französischen
Wochenzeitschrift Nouvel Observateur, in der Rubrik "Ausgepfiffen", ein kurzer
Artikel von Ruth Valentini über Peter Handke. Die Journalistin bezeichnet den
Schriftsteller darin als "Revisionisten" und behauptet, er billige "das
Massaker von Srebreniça und alle anderen im Namen der ethnischen Säuberung begangenen
Verbrechen". Handke reagiert in einem Brief an den Nouvel Observateur auf diese
Beschuldigungen. Drei Wochen später ist seine Antwort noch immer nicht in der Zeitschrift
abgedruckt, denn "die für die Leserbriefe verantwortliche Person ist im Augenblick
in Urlaub". Unterdessen brauchte es nicht mehr als diese fünf verleumderischen
Sätze Ruth Valentinis, um Marcel Bozonnet, den Leiter der Comédie française, zu der
Entscheidung zu bewegen, ein Stück von Peter Handke (Das Spiel vom Fragen) abzusetzen,
das in einer Inszenierung von Bruno Bayen Anfang 2007 auf dem Spielplan stand. Als er
seine Entscheidung bekannt gab, schämte sich Marcel Bozonnet nicht, als einziges Motiv
seine Lektüre des Artikels im Nouvel Observateur anzugeben ("das Blut stieg mir zu
Kopfe, als ich das las").
Ohne sich die Mühe zu machen, die Behauptungen der
Journalistin zu überprüfen, stiliserte er sich öffentlich -- und ohne das geringste
Risiko einzugehen -- zum Verteidiger der Opfer und Helden in Sachen Menschenrechte. Die
einzig wahre Information in dem Artikel der Ruth Valentini lautet: Peter Handke war beim
Begräbnis von Milosevic zugegen. Es geht hier nicht darum zu entscheiden, ob er daran
recht oder unrecht tat. Es geht einzig darum, ob diese Tatsache in Frankreich, im Namen
des Konformismus und der bien-pensance, die Ausübung einer Form von Zensur rechtfertigt.
Die Entscheidung der Comédie française ist leider nur das (vorläufige) Endergebnis
einer systematischen Ächtung des Schriftstellers Peter Handke, die schon vor einigen
Jahren begonnen hat. Seit er angefangen hat, sich der Verteufelung der Serben zu
widersetzen und Fragen zum jugoslawischen Bürgerkrieg zu stellen (Eine winterliche Reise
zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina,1996), wird er von den Medien als
gefährlicher Feind behandelt, den man ungestraft beschimpfen und dessen Worte man
beliebig verfälschen kann:
Am Ende steht der Verleumder noch als Vertreter der guten
Sache da. Die Zeitungen sind allesamt einer Meinung, und ihr Einfluß ist so groß, daß
es mittlerweile Buchhändler gibt, die sich weigern, die Werke Peter Handkes im Regal
stehen zu haben. Die Wiederholung, Wunschloses Unglück, Die Lehre der Sainte-Victoire,
die zu den schönsten Büchern des vorigen Jahrhunderts zählen, werden boykottiert. Man
schließt sich lieber der Meinung des Nouvel Observateur an, als sich mit einem
umfangreichen und herrlich singulären Werk zu beschäftigen. Dieses Werk bedarf keiner
Verteidigung. Es ist da, voller Vielfalt und Ruhe, weit und lebendig. Es wird nicht
"das letzte Wort" haben, und es hat es auch nicht darauf angelegt. Es erwartet
nichts. Es gibt keine Antworten. Wer nicht von vornherein glaubt, alles verstanden zu
haben, wird den Weg zu ihm finden.
Anne Weber
Mit der Unterstützung von:
Klaus Amann, Nicole Bary, Ruth Beckermann, Patrick Besson, Gérard Bobillier, Luc Bondy,
Jacqueline Chambon, Yves Charnet, Vladimir Dimitrijevic, Anne Freyer, Robert
Hunger-Bühler, Elfriede Jelinek, Peter Stephan Jungk, Colette Kerber, Michael Krüger,
Emir Kusturica, Christine Lecerf, Olivier Le Lay, André Marcon, Jean- Michel Mariou,
Jean-Yves Masson, Mladen Materic, Robert Menasse, Pierre Michon, Patrick Modiano, Emmanuel
Mosès, Paul Nizon, Bulle Ogier, Colette Olive, Pierre Pachet, Christophe Pellet, Serge
Regourd, Pierre-Guillaume de Roux, Eryck de Rybercy, Robert Schindel, Sophie Semin, Erich
Wolfgang Skwara, Gerald Stieg, Elisabeth Schwagerle, David Ruffel, Josef Winkler
und
Michel Simonot, Yoko Tawada, Andreas Louis Seyerlein, Doron Rabinovici, Christian
Bourgois, Dominique Bourgois, Jean Clair, Jean- Pierre Lefèbvre, François Mathieu, Anne
Serre, Alain Madeleine- Pedrillat, Ivan Nabokov, Monique Rival, Yvon Beguivin, Colette
Strauss-Hiva, Christine Angot, Térésa Crémisi, François Weyergans, Michel Reffet,
Philippe Ripoll, Françoise Guiget, Christian Salmon, Elisabeth Kargl, Peter Henninger,
Pierre Daguet, Alexander Widner, Angelika Klammer, Jochen Jung, Frédérique Woerther,
Claus Peymann
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