9. Mai 2006

An der Comédie Francais wurde ein Handke-Stück abgesetzt. Weil er angeblich Opfer des jugoslawischen Sezessionskrieges beleidigt habe. Erneut kursieren die Legenden, Handke habe Kriegsgreuel verharmlost, Verbrechen gebilligt, den Tätern Verehrung entgegengebracht. Erneut wird bei der Gelegenheit NICHT erörtert, daß er ja vor allem und ganz explizit Medienkritik geübt hat, noch übt.

Was kritisiert er denn? Wie wird in der Schreibstuben jener "Herrschaftssprache" gearbeitet, die zur Debatte stünde, wenn man Handke selbst einmal aus dem Fokus der Debatten herausnehmen würde? Zum Beispiel! Ich hab eine "Kleine Zeitung" vom 29. April 1999 aus meinen Papierbergen gehoben:

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Das ist interessant gemacht. Wir sind damit vertraut, daß Hunde und Pferde geschlagen werden. Esel werden gedroschen, wenn sie nicht spuren. Auch Frauen und Kinder werden geschlagen, um sie zum Spuren zu bringen. Solche Bilder sind geläufig. Aber! Woher nimmt der Autor Ratten für sein Bild? Wer schlägt schon Ratten? Niemand schlägt Ratten. Nicht einmal Katzen werden metapherntauglich geschlagen. Katzen werden gegen eine Wand geschmissen. Ratten werden vergiftet. So geht das.

Ich nehme einfach an, Autor Orssich versucht sich in dichterischen Dimensionen und müht sich mit dem einführen neuer Metaphern. Man ist der alten Bilder ja so leicht überdrüssig. Orssich sagt uns mit seiner Headline wohl, daß im Kosovo Menschen mißhandelt werden, weil man ihnen nicht mehr Wert beimißt als einer Ratte. Kommt das hin? Gut. Das versteht man. Aber woher nimmt er nun diesen Satz?

"Doch Greueltaten haben auf dem Balkan eine lange Geschichte."

Denn das ist ja ein im historischen Sinn nicht gerade sehr stichhaltiges Statement. Zu dem man fragen muß: Welche Arten von Greueltaten haben denn auf dem Balkan eine signifikant "lange Geschichte", die etwa im übrigen "Alpen-Adria-Raum" oder gar in halb bis ganz Europa als untypisch erachtet werden müßten?

log703d.jpg (9424 Byte) Nämlich sowohl in Art der Greueltaten wie auch in der Dauer deren Anwendung. Fragt man so, fällt einem plötzlich auf, wie perfide der Journalist hier verfährt.

Denn ob man nun den Grimmelshausen liest, der in seinem "Simplicissimus" den Dreißigjährigen Krieg greifbar macht, ob man in den Schriften des Clausewitz schmökert, ob man sich bei Tolstoij einen Eindruck von den Napoleonischen Kriegen verschafft, "Krieg und Frieden" läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, ganz Europa hat sich ausdauernd in allen erdenklichen Arten der Grausamkeit geübt.

Ich wüßte nicht, was an den neben angedeuteten Greueln neu sei oder gar so typisch für den Balkan.

Orrsich unterschlägt außerdem, daß auf dem "Balkan" vor allem die Armeen der Habsburger und der Osmanen sich über Jahrhunderte allerhand zu schaffen machten. Was nach dem Rückzug der Osmanen (Anfang des 20. Jahrhunderts) die vor allem südslawischen Völker keineswegs in Autonomie gelangen ließ. Recht eilig haben sich große Nationen Europas dort engagiert. Ihren eigenen Interessen folgend. Was auch von erlesenen Grausamkeiten gehandelt hat. Wenn sich schließlich die Balkanvölker während der der 1940er-Jahre gegenseitig malträtiert haben, dann in guter Gesellschaft mit den Nazi-Barbaren, die da zu der Zeit gerade für das 20. Jahrhundert gerade neue Standards setzten. Was Greuel betrifft.

Das sind also ziemlich schlampig hingerotzte Headlines, die den "Balkaniern" und den "Orientalen" ganz salopp, ganz allgemein besondere Grausamkeit und einen Mangel an Zivilisation unterstellen.

Eine Art journalistischer Ungeheuerlichkeit, die Handke ausdrücklich angreift. Wofür man ihm nun gerade in Frankreich unterstellt hat, er würde "die Opfer" beleidigen. Übrigens: welche Opfer? Die des Krieges ganz allgemein? Die der serbischen, der kroatischen oder der bosnischen Soldateska?

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Vielleicht auch die der kosovarischen UCK? Das wurde uns leider nicht berichtet. Wer denn in der Comédie Francais da genau was gemeint hat. So wie nach dem Begräbnis von Milosevic nicht in den Blättern zu lesen stand, was Handke dazu geschrieben hat:

"Solche Sprache war es, die mich veranlasste zu meiner Mini-Rede in Pozarevac -- in erster und letzter Linie solche Sprache. Es hat mich gedrängt, eine, nein, die andere Sprache vernehmen zu lassen, nicht etwa aus Loyalität zu Slobodan Milosevic, sondern aus Loyalität eben zu jener anderen, der nicht journalistischen, der nicht herrschenden Sprache." [Quelle]

[Zu Peter Handke]

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