9. April 2006 / III »Auf
den Tod von Slobodan Milosevic habe ich, anders als die sogenannte Allgemeinheit, an deren
Allgemeinheit ich nicht recht glaube, nicht »mit Genugtuung reagiert«, zumal das
Tribunal den seit 5 Jahren in einem angeblichen »5-Sterne-Gefängnis« (»Libération«)
Verwahrten erwiesenermaßen hat sterben lassen. Unterlassene Hilfeleistung: ist das nicht
ein Verbrechen? Ich »gestehe«, etwas wie Kummer empfunden zu haben, der am Abend nach
der Todesnachricht beim Gehen in den Seitenstraßen zu der Vorstellung führte, irgendwo
für den Toten eine Kerze anzuzünden. Und dabei sollte es bleiben. Ich hatte nicht vor,
zum Begräbnis, pogreb, sahrana, nach Pozarevac zu reisen. Ein paar Tage später erreichte
mich die Einladung, nicht etwa von der Partei, sondern von der Familie (die übrigens an
der Beerdigungsstunde dann, anders als verlautet, zum Großteil anwesend war). Freilich
bewog mich weniger das zu der Reise. Mehr waren es die Reaktionen der durchweg
feindlichen, nach dem Tod noch verstärkt feindlichen Westmedien, und darüber hinaus der
Sprecher des Tribunals und auch des einen oder anderen »Historikers«. Es war deren aller
Sprache, die mich auf den Weg brachte. Nein, Sl. M. war kein »Diktator«. Nein, SI. M.
hat nicht »vier Kriege auf dem Balkan angezettelt«. Nein, Sl. M. hat nicht als
»Schlächter von Belgrad« bezeichnet zu werden. Nein, Sl. M. war kein »Apparatschik«,
kein »Opportunist«. Nein, Sl. M. war nicht »zweifellos« schuldig. Nein, Sl. M. war
kein »Autist« (Wann übrigens werden die schmerzhaftest kranken Autisten sich wehren,
daß ihr Kranksein als Schmähwort gebraucht wird?). Nein, Sl. M. hat mit seinem Sterben
in der Zelle von Scheveningen »uns« (dem Tribunal) keinen »bösen Streich gespielt«
(Carla del P.). Nein, Sl. M. hat »uns« mit seinem Tod nicht »den Teppich unter den
Füßen weggezogen, uns das Licht ausgeschaltet« (dieselbe). Nein, Sl. M. hat sich nicht
vor dem Schuldspruch, ohne Zweifel LEBENSLÄNGLICH, weggestohlen«. Sl. M. wird »dafür
aber dem Urteil der Historiker nicht entkommen« (ein »Historiker«): abermals nicht
bloß unwahre, sondern schamlose Sprache. Solche Sprache war es, die mich veranlasste zu
meiner Mini-Rede in Pozarevac -- in erster und letzter Linie solche Sprache. Es hat mich
gedrängt, eine, nein, die andere Sprache vernehmen zu lassen, nicht etwa aus Loyalität
zu Slobodan Milosevic, sondern aus Loyalität eben zu jener anderen, der nicht
journalistischen, der nicht herrschenden Sprache. Beim Anhören des einen oder anderen der
Vorredner in Pozarevac dann allerdings der Impuls: nein, nicht sprechen nach dem
schneidigen General da, dem nach Rache schreienden Parteipolitiker da, die beide die Menge
anheizen wollten, welche sich freilich, bis auf ein paar vereinzelte Mitschreier, keinmal
zu einer Haß- oder Zornantwort kollektiv hinreißen ließ: denn es war eine Menge aus
Trauernden, still und tief Bekümmerten, so mein nachhaltigster Eindruck. Und für diese
Bekümmerten, gegen die markigen, starken Sprüche, machte ich dann doch den Mund auf wie
bekannt -- als ein Teil der Kummergemeinde. Reaktion darauf: P. H., der »Claqueur« (FAZ)
-- gibt es eine verwahrlostere Sprache als diese? Ein »Claqueur«, was ist das: Einer,
der für Geld Beifall klatscht. Und wo ist der Beifall? (Nie habe ich auch geäußert,
wieder laut FAZ, »glücklich« zu sein nahe dem Toten.) Und wo ist das Geld? (Flug und
Hotel selbst bezahlt.) Mein Hauptbedürfnis jedenfalls für die Grabreise: Zeuge sein.
Zeuge weder im Sinn der Anklage noch im Sinn der Verteidigung. Heißt denn inzwischen,
Zeuge nicht im Sinn der Anklage sein zu wollen, für den Angeklagten zu sein?
»Zweifellos«, gemäß einem der Hauptschlagworte der herrschenden Sprache?« (Quelle: Focus / Suhrkamp Verlag]
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