31. Dezember 2005 Was tut
sich denn da neuerdings? Ich muß mir um meine
Landsleute ernsthaft Sorgen machen. Da ich aus der gestrigen Ausgabe der "Kronenzeitung" etwa erfahre:
"... bin fast an meinem Frühstück erstickt, vor
lauter Schreck." "Bitte bleiben Sie am Ball und schützen Sie die anständige
Minderheit der Österreicher, die keine Perverslinge und Pornografen sind."
"Auch unsere Kinder sehen diese Pornos!" "Diese dekadenten Perversitäten,
die mit Kunst gar nichts zu tun haben ..."
Gehts also um die Freiheit der Kunst? Nein. Ich denke
nicht, daß die Freiheit der Kunst ernsthaft in Gefahr ist. Und daß sie jemand anfechtet,
einzuengen versucht, ist doch in einer Demokratie Business as usual. Aber. Hier geht es um
Definitionsmacht. Wer darf sagen, WAS etwas sei und WIE es sei? Beispiel. So hat die
"Krone" gestern getitelt:
Nun könnte man fragen:
+) Woher wissen wir denn, daß die Nation sich blamiert habe? Noch dazu weltweit?
+) Woher wissen wir denn, daß dies "Porno-Plakte" seien?
Hat der leitende Redakteur das im Kaffeesud gelesen? Wird
er Kriterien und Quellen nennen? Man erfährt es nicht. Auch die "Kleine Zeitung" führt auf
der Eins Kategorien ein, die sie hinten, im Feuilleton, vermutlich nicht so genau
begründen könnte. Denn WAS genau soll denn das im Kunstkontext sein, ein
"Sexplakat"?
Sehen Sie! So geht das. In einem auflagenstarken Blatt
etwas BEHAUPTEN ist eine Sache. Es begründen und belegen können ist eine ganz andere
Sache. Definitionsmacht! Was genau PORNOGRAPHIE sei, wissen ganz gewiß hundertausende
Männer in diesem Land, die Konsumenten von Pornos sind, ganz genau. Würde man mit diesem
Klientel ins Geschäft kommen, hätte man nichts als die umstrittenen Fotografien? Sind
diese Fotos dazu gedacht und geeignet, jemanden sexuell zu erregen?
Ostojic. Und die Kuratorin Marina Grzinic, die (gemeinsam
mit Walter Seidl) für jene Ausstellung verantwortlich zeichnet, bei der die umstrittene
Ostojic-Fotografie heuer in Graz gezeigt wurde - letzten Februar. Sind das Agentinnen der
Pornoindustrie? Man könnte in den
Büchern der beiden Frauen nachlesen, womit sie sich befassen, worauf ihre Arbeit sich
bezieht.
Muß ich annehmen, daß "Cato", den man allgemein
für den Herausgeber der "Krone" hält, diese Bücher kennt? Oder Kriterien zu
nennen wüßte? Wenn er etwa feststellt: "Hier
kann niemand mehr mit Kunst argumentieren."
Woher weiß er denn das? Auf welches Wissen
über zeitgenössische Kunst stützt er sich bei seiner Erregung? Das erfahren wir nicht.
Das stand nicht im Blatt. Vorgestern nicht. Gestern nicht. Warum wohl? Weil es hier bloß
ums Behaupten geht? Weil wer die Macht dazu hat, keine Gründe zu nennen braucht? Nein, solche Leute können die Freiheit der Kunst nicht
beschädigen. Aber sie können einzelne Kunstschaffende attackieren. In die Enge treiben.
Wozu? Na einfach weil sie es können. Wie argumentiert so ein erigierter Verteidiger, hm,
Verteidiger WOVON eigentlich? Man kann es sich bei Peter Gnam exemplarisch ansehen. Wovon
handelt das?
Es handelt vor allem davon, daß man in einer Company wie
der "KRONE-Verlag Ges.m.b.H. & Co KG" gerne Politik betreibt und sich
eigenwilliger "Volksbildung" verschrieben hat, ohne dafür demokratisch
legitimiert zu sein. Denn diese Truppe stellt sich keinen Wahlen.
Welche Opposition muß denn so eine Company, neben den
Funktionstragenden der Politik, noch in Kauf nehmen? Welchen Positionen müssen sich Cato
& Co. stellen, wenn man die "Leserbrief-Front" mal beiseite läßt? Da
wären also ... tja, ähem ... da wären ... gut, es gibt schon einige Kreise,
Berufsfelder, von denen her Menschen Parteienstellung in öffentlichen Diskursen
beanspruchen. |
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Mehr noch als so ganz allgemein
um die Freiheit der Kunst geht es hier also um Zugang zur Öffentlichkeit,
Türhüterschaft, Teilnahme an öffentlichen Diskursen, Zugriff auf die Oberflächen des
öffentlichen Raumes, Teilhabe an der Definitionsmacht. Wem gehört diese Öffentlichkeit,
genauer: dieses Ensemble von Teilöffentlichkeiten, in einer "res publica"? Wer
darf diese Teilöffentlichkeiten womit bespielen?
Die Catos, Gnams, Caps und Konsorten setzen
das für sich voraus. Anspruch auf solche Zugänge, auf solchen Zugriff zu haben.
Das ist (unter anderem) mit der demokratischen
Qualität der Freiheit der Kunst gemeint. Daß man mächtigen Lobbies und Agenturen ein
kritisches Potential gegenüberstehen läßt. Wen?
Vielleicht Personen, die meist für keine
Company, keine Partei, keine Agentur dieser Gesellschaft stehen? Eventuell
Kunstschaffende? Naja, schaun wir mal, dann sehn wir schon ...
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