30. Oktober 2005

Wie gestern angedeutet: Stefan Zweig. Der hatte ein Faible für Originalhandschriften. Und war überzeugt, der Genius des Künstlers sei auch den entsprechenden Artefakten anhaftend. In seinem Buch "Die Welt von gestern" beschrieb er, worum es ihm dabei ging.

log545b.jpg (27325 Byte)

Ein Blatt aus dem Arbeitsbuch von Leonardo da Vinci. Ein Armeebefehl von Napoleon. Korrekturen Balzacs auf Druckbögen eines Romans. Nietzsche, Bach, Mozart, Goethe ... Zweigs Autographensammlung dürfte beeindruckend gewesen sein.

log545a.jpg (25781 Byte)

Die Aura von geweihten Gegenständen? Es ist ja nicht klärbar. Ich halte die Annahme solches Aufladens von Gegenständen für Konstruktion. Zugleich arbeite ich selbst damit, Dinge und Orte durch das angereichert zu verstehen, was Menschen damit und dort getan, gedacht, gefühlt haben mögen. Ich tendiere also zu beiden Ansichten und komme aus diesem Kontrast nicht heraus.

Aber es ist keineswegs nötig, Widersprüche aufheben zu wollen. Es geht mir viel mehr darum, mit welcher Intention und zu welchem Zweck man solchen Annahmen nachhängt, der ganzen Genie- und Stargeschichte.

Nun sind exponierte Persönlichkeiten nicht bloß längst kanonisiert und in verschiedenen Abschnitten der Geschichtsschreibung sehr prominent aufgestellt worden. An den Fragen nach ihrem Rang wird heute wohl kaum noch gearbeitet. Ich vermute, man widmet sich eher den weiter auslotbaren Details. (War Goethe auch ein profunder Wissenschafter? War Napoleon Europas Lichtbringer oder vor allem ein großer Schlächter? Naja, nicht meine Themen ...)

Historiographie zählt also. Beim Herausarbeiten von Rang. Kanonbildung spielt eine Rolle. Dessen Regeln sind kein Geheimnis. Der Markt spielt seine Rolle mit. Vieles wirkt ein. Nicht zuletzt Selbstinszenierung. Das wußten, wie erwähnt, schon manche Stars der Renaissance.

In Österreich läuft das heute etwas ruppiger. Ein amüsantes Beispiel fand ich in Peter Landerls Buch, worin er Karl-Markus Gauß zitiert, der Antonio Fian zitiert, welcher darauf hingewiesen habe:
"... dass die durchschnittliche Dankesrede, die ein österreichischer Staatspreisträger vor versammelter Ministerriege hält, immer klingt, als wäre es die Abschiedsrede eines Widerstandskämpfers, der unter dem Galgen steht und dem in Kürze nicht Urkunde samt Scheck, sondern der Strick ausgehändigt wird."

Das ist ein sehr anschauliches Stück Text. Man erfährt einiges über Kanonbildung und (Selbst-) Inszenierung. Daß man renommierte Leute zitiert und danach trachtet, von renommierten Leuten zitiert zu werden, ist naheliegend. Eine Art wechselseitiger Zertifizierung, die davon handelt, wie Landerl an anderer Stelle ausführt, daß der Unbekannter vom Bekannteren in Richtung Kanon aufgewertet wird. Während der Bekannte durch das Ansinnen des Unbekannten seinen Kanon-Status bestätigt bekommt. Beide gewinnen dabei.

Daran ist, so vermute ich, gar nicht viel auszusetzen. Bloß das Getue um solche "Zertifizierungsverfahren" ist oft ein bißl lächerlich. Wie ich ja auch aus dem steirischen Betrieb von etlichen Leuten weiß, die sich nachts, auf der Piste, wie die wildesten Bohemiens oder eben, siehe oben, wie zähnefletschende Widerstandskämpfer geben, während sie sich beim Antichambrieren vor den Büros maßgeblicher Politiker ganz entspannt und streichelweich aufwärmen. Monkey-Business!

kup.gif (410 Byte)

[kontakt] [reset]

43•05