15. Oktober 2005Ein ruhiger Tag, ein Weg über die Felder,
eine kleine Tischrunde im Café in der Mitte der Stadt ... Aber! Ist denn das eigentlich
noch die Mitte der Stadt? Nur weil die Kirche dort steht? Bei der Plauderei über die
Entwicklung der Stadt fällt so ganz nebenbei das Statement, 2020 würden in Österreich
50 % der Jugendlichen einer moslemischen Kultur zuzurechnen sein. Keine Frage, ob das
verhindert werden könnte oder sollte. Es werde so sein.
Dieser Ansicht ist übrigens auch der Autor Norbert Mappes-Niediek im Zusammenhang mit
dem Balkan und den ethnischen Bewegungen quer durch Europa. Es sei keine Frage, ob einem
das passe oder nicht. Es sei einzig die Frage, wie man damit zurechtkommen möchte.
Ähnlich unaufgeregt empfand ich vor einigen Monaten die Haltung des 81jährigen Lee
Kuan Yew, lange Zeit Singapurs Regierungschef. In einem Interview im "Spiegel" meinte er zu den
Veränderungsschüben, die China und Indien der ganzen Welt über wirtschaftliche
Anstrengungen aufbürden, es sei "dumm, Angst zu haben". Man müsse sich den
neuen Anforderungen stellen.
Er schickte Leute aus den Gewerkschaften und aus dem Arbeitsministerium seines Landes
alljährlich auf Exkursionen nach China. Mit dem Auftrag, nicht nur die Große Mauer zu
besichtigen, sondern auch in die Fabriken zu gehn und sich dort kundig zu machen, wie die
Dinge laufen. "Dann kommen sie in Schockstarre zurück."
Auf die Frage, ob er meine, daß Europa unter dem Ansturm der Globalisierungskräfte
zusammenbrechen könnte, meinte Lee:
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Tja. So sieht das wohl aus. Daß es
Faktenlagen und Entwicklungen gibt, die uns zu vorhersehbaren Situationen führen werden.
Die den da und dort zuständigen Fachkräften keineswegs unklar oder unbekannt sind. |
Lange bevor hier alle sich der Mühe unterzogen haben, zu begreifen, was
das Wort "Eurozentrismus" bedeutet und aus welcher Geschichte es sich schöpft,
wird uns dieses Kapitel von anderen unter den Händen abgeschlossen ... Turn the Page!
Umso mehr erscheinen diverse vaterländische Pausennümmerchen im Chor
"Österreich zuerst!" nicht nur als unappetitliches Echo der Nationalismen des
20 Jahrhunderts. Sie täuschen auch über Themen- und Fragestellungen hinweg, mit denen
wir eigentlich alle längst offenen Auges befaßt sein sollten ...
Cut!
Apropos hinwegtäuschen. Zum ziemlich peinlichen grünen Wahlkampfmotiv der (Polit-)
Dinosuarier, die wegen Anpassungsproblemen angeblich aussterben würden, habe ich schon
angemerkt, daß sich diese Raubtiergeschichte nicht bloß dem Rassismus vedankt, sondern
auch politisch töricht und irreführend sei. Weil hinter dem (auswechselbaren)
politischen Personal ganz andere Netzwerke Wirksamkeit zeigen.
Ich hab am 27. September geschrieben:
"Es ist ein ziemlich naives Spiel, Leute wie Klasnic und Voves, die aus einfachen
Verhältnissen stammen (und deshalb nie zum eigentlichen Kern solcher Netzwerke gehören
werden), mit derlei Seilschaften zu verwechseln. Denn als politisches Personal
repräsentieren sie solche Kreise bestenfalls an einigen Stellen des öffentlichen Lebens,
mehr nicht."
Herbert Paierl, einst glänzender Wirtschaftslandesrat der Steiermark, der heute bei
Frank Stronach dient, also eine profunde Innenansicht steirischer Landespolitik hat, gab
dem "Standard" unlängst
ein Interview. Darin hieß es explizit:
Bliebe zu fragen: WER? Wer wollte das? Paierl wird nur mäßig deutlich,
aber durchaus unmißverständlich: "Dass Gerhard Hirsch...
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Überrascht? Na geh! Das war doch jetzt
nicht so schwierig. Oder? Haben Sie allen Ernstes gedacht, nur weil wir hier ohne
Revolution ausgekommen sind, der Erste Weltkrieg hat zur Abschaffung des Adels gereicht,
sind deshalb die alt eingesessenen Eliten und ihre Derivate aus dem Sattel gestiegen? (Um
WEM Platz zu machen?)
Darüber haben wir übrigens bei der eingangs erwähnten Kaffeehaus-Runde auch
geplaudert. Die Sozial- und Mentalitätsgeschichte dieses Landes.
Weil ich meine, daß Fürsten und Bischöfe natürlich
wußten, Macht lasse sich nicht dadurch etablieren, daß man jedem Untertanen einen
Wächter zur Seite stellt. Der Souverän muß von seinen Untertanen internalisiert werden.
Und von da her, quasi aus dem eigenen Herzen heraus, die Leute bei der Stange halten. |
Cut!
Weiter in Peter Handkes Buch. Während wir HIERzulande meist nicht mal in der Lage
sind, halbwegs kohärent zu erzählen, wie der jugoslawische Sezessionskrieg denn
angefangen habe, vor allem: wodurch, das "Balkanische" erscheint so fremd,
komplex und verwirrend, hat sich doch eine Ansicht sehr verbreitet: "Die
Serben!"
Haben was? Haben ohne jeden Zweifel viel zu den Gräueln dieses Krieges beigetragen.
Politiker, militärische Verbände, "Sonderpolizei" und recht private Täter
waren dingfest zu machen. Doch das ist nun mal bloß ein Teil der Geschichte(n).
"Alcatraz again" (Graffiti in der Karadjordjeva-Straße in
Beograd)
Warum erscheint Handke so provokant, wenn er nach Details und nach Zusammenhängen
fragt. Wenn er so beharrlich fordert, es mögen auch die anderen Geschichten erzählt
werden? Die anderen Gründe genannt werden? Im "Sommerlicher Nachtrag ..."
klingt das etwa so: