5. August 2005Zapperment! Mein "Offener
Brief, lokal / regional ..." hat ja nun doch zu einigen kohärenteren Reaktionen
geführt. Neben einiger Post, die hereingekommen ist, haben mich Sigi Binder und Martin
Hochegger von den Grünen zu einem Gespräch gebeten.
Konsens fanden wir schon vorab: es mangelt der Steiermark
an offenen, öffentlichen politischen Diskursen. Ganz unabhängig davon erreichte mich
anregende Post. Dabei die recht interessante Frage, ob es denn nötig gewesen sei, um mein
Anliegen zu betonen, diese Erklärung zu unterschreiben.
Man braucht es nicht überzubewerten. Aber daran bildet
sich natürlich auch ab, wo wir in unserem Selbstverständnis als demokratisches Volk
stehen. Muß man also gleich einer demokratisch legitimierten Partei aus Graz zu ihrer
Wählbarkeit auf dem Lande weiterhelfen?
Hm. Was genau spricht dagegen? Genau! Das Unaussprechliche.
Hier ist unser Dilemma. Wir lieben es, in einer Demokratie zu leben. Da kann man dann
nicht offen sagen: "Die soll es nicht geben!"
Also wird dies, wie vieles andere, als Unaussprechliches
aus der offenen Debatte herausgenommen. Und muß als Unsichtbares seine Wirkung entfalten.
Was es auch tut. Davon ist die Politik dieses Landes stark geprägt, leidet darunter, wie
gerade die temporäre Schmutzigkeit des aktuellen Wahlkampfes belegt ...
Bemerkenswert fand ich auch die Frage:
"Ist für dich die KPÖ eine potenziell
wählbare Partei? Das tät mich echt interessieren!!!"
Worauf ich natürlich nur antworten kann:
Selbstverständlich. Potenziell wählbar MUSS sie ja sein, andernfalls man zu fragen
hätte: Warum ist sie nicht verboten? Dann bestünde Handlungsbedarf für die Hüter
unserer Verfassung.
Aber die Frage meinte vermutlich nicht diesen Aspekt. Ich
rate. Sie meinte die Tatsache, daß eine KPÖ ja in ihrer Genese unmittelbar zu Stalin und
Lenin zurückgeführt werden kann. Wie kann man so eine Partei wählen?
Einschub:
Wen ICH wähle, darf ich ja aus der Debatte draußen halten, richtig? Denn ich habe ein
Recht frei und geheim zu wählen.
Weiter:
Abstammung. Ja. Stalin und Lenin. Das waren nun keine Verfechter der Demokratie. Andre
Stammbäume österreichischer Parteien sehen kaum besser aus. Sind die Christlichsozialen
nicht dem präfaschistischen Ständestaat sehr verbunden gewesen? Sind sie nicht mit den
Nazi sehr verstrickt gewesen?
Was ja die SPÖ inzwischen bezüglich ihrer eigenen
Geschichte explizit offen gelegt hat. Mindestens mit der publizierten Studie über den BSA
= Bund sozialistischer Akademiker. Und hat die FPÖ nicht über den VdU eine lupenreine
Genese im Nazismus? Nehmen wir ruhig noch die römisch-katholische Kirche dazu, die eine
eminent politische Institution war und ist.
Neeeein, so kindisch bin ich nicht, nun mit der Inquisition
zu kommen. Reden wir doch nur von so manchen Bischöfen im Kielwasser Hitlers. Oder über
die Rolle des Vatikan beim Verschiffen von hochrangigen Nazi-Funktioniären nach dem, was
in meiner Kindheit andauernd so obszön euphemistisch "Der Zusammenbruch" hieß.
Ich gehe mal davon aus, daß all diese Gruppierungen mit
der Arbeit an demokratischer Legitimation seit Beginn der Zweiten Republik noch längst
nicht fertig sind. Aber! Wir Kinder des Kalten Krieges ("Sei mir bitte nicht bös,
aber ich betrachte und empfinde mich nicht als
Kind des kalten Krieges." Doch! Sind wir!) haben unsere Anfälligkeit für den Balkan-Reflex keineswegs in halbwegs sicheren
Bahnen.
Es ist so praktisch, wenn die Welt in der Deutung eine
linke und eine rechte Hälfte hat, wobei die linke den "Kummerln" reserviert
ist, die rechte den "Katholen", dann gibts auch noch linklinks, ultrarechts etc.
etc.
Deshalb muß uns ja auch "der Balkan" weiterhin
als inferiore Referenzgröße dienen. Herhalten. Sich benutzen lassen. (Die Türkei wird
dazu grade wieder aufpoliert.) Wir bestätigen uns dabei gerne selbst, daß hier, wo ja
das Abendland sei, mit seinen Werten ... nein! Stop.
Eine der schillerndsten Figuren in der Geschichte
Jugoslawiens während des 20. Jahrhunderts war der Schriftsteller und Politiker Milovan
Djilas. Es gibt von ihm ein Buch mit dem Titel "Gespräche mit Stalin". Die
ersten Sätze in diesem Buch, datiert Belgrad 1961, lauten so:
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