3. August 2005

Offener Brief, lokal / regional ...

(anläßlich der "Kummerl-Nummer")

Gleisdorf, 03.08.2005

Werte Damen und Herren!


Ich war so frei, mir von der steirischen KPÖ eine Unterstützungserklärung für den Kreiswahlvorschlag zuschicken zu lassen und diese im Gleisdorfer Rathaus formell zu unterschreiben.

Das Motiv dazu liegt in meinem Wunsch, Ernest Kaltenegger damit demonstrativ etwas mitzuteilen. Nämlich meine Mißbilligung, daß man dem (meines Wissens) völlig unbescholtenen Politiker via *Impuls grün* implizit unterstellt hat, er würde es mit Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigungen nicht so genau nehmen.

Noch kühner ist die explizite Anschuldigung „Kaltenegger und die Kommunisten verteidigen Kriegsverbrecher Milosevic“, ohne das auch nur mit einem einzigen kohärenten Dokument zu belegen.

Es fehlt, soweit ich sehe, bis dato jede öffentliche Maßnahme, diese öffentlich gesetzte Zumutung zurückzunehmen. Sie fügt sich geschmeidig zu anderen Verstiegenheiten, die ich als Schäbigkeiten aus Politbüros seit Jahren zunehmend feststelle.

Ich vermisse dabei intellektuelle Redlichkeit in Zeiten, wo man sich müht, der ÖVP Untergriffe im Wahlkampf abzugewöhnen. Ich habe großen Widerwillen, mich bei den steirischen Grünen auf solche Modi zu einzustellen. Wie mir ganz generell das Wahlkampf- und Diskursklima in diesem Lande sehr mißfällt.

Ich erlaube mir, bei der Gelegenheit an den Artikel 11 der „allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ zu erinnern:
„Jeder, der wegen einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“

Wie belastet, schuldig der serbische Expräsident also mir oder sonst wem erscheinen mag, er ist nach unseren Konventionen vorerst der MUTMASSLICHE Kriegsverbrecher Milosevic. (Es gibt auch weniger brisante Zusammenhänge, wo man an diesen Rechtsgrundsatz erinnern muß.)

Die Lustigkeit, mit der hierzulande auf solche Motive rekurriert wird, ist mir unbegreiflich.

Ich bin nun diese Schritte gegangen, auch als Ausdruck der Ratlosigkeit über den Großteil steirischer Intellektueller meiner Generation, die sich bei selbst bescheidenen Beiträgen zum Geschäft der Aufklärung nicht erwischen lassen. Was vermutlich gerade in unserem Verhältnis zu Südosteuropa von erheblichem Belang wäre. Denn dieser Region sind gerade wir, als „Kinder des Kalten Krieges“, auf komplexe Art verbunden. Statt das zu bearbeiten, tragen wir erneut bei, den „Balkan“ zu „kolonisieren“, zu benutzen.

Natürlich müssen Kunstschaffende nichts müssen, wie Turrini sinngemäß einmal festgestellt hat. Aber wenn sich meine Generation darin erschöpft, Beiträge zum Thema Luft zu dichten, wo es kulturelle und politisch bestenfalls höchst überschaubaren Klärungsbedarf gibt, oder wenn meine Kolleginnen und Kollegen in das Becken des Gleisdorfer Freibades springen, wie in diesem Sommer, um unter Wasser Gedichte zu verlesen, wenn das grosso modo so ziemlich alles ist, was die Diskurse in diesem Lande noch mitbestimmt, wird es mir ziemlich eng.

Da treffen sich also boulvardeske Neigungen von politischer und künstlerischer Seite. Im eher harmlosen Begleiten laufender regionaler Ereignisse. Auch das muß den Kunstschaffenden frei stehen. Ich blicke gelegentlich nach Süden ...

Ich hab eben erst im Radio die Stimme des bosnischen Dichters Dzevad Karahasan gehört, vor wenigen Jahren durfte ich ihn in Graz kennenlernen, drum fiel mir seine Stimme auf, er sagte, über Srebrenica können man nur weinen, sonst nichts. So ist es!

Ich war vor zwei Wochen bei den verminten Wiesen und Feldern hinter Vinkovci. Das ist von hier aus bloß eine kleine Tagesreise mit dem Auto. Ich war danach in Vukovar. Und in Beograd. (Dort werden keine unerheblichen Gedichte unter Wasser gelesen. Man mißtraut dem Wasser seit den Bomben auf Pancevo.)

Ich hatte in Beograd Quartier in der Wohnung eines jungen Mannes, dessen Vater Moslem, dessen Mutter Serbin gewesen ist. (Beide sind tot.) Allein was an diesen Orten (Srebrenica hatte ich vorerst gemieden) noch präsent ist, verbietet einen schlampigen oder gar vorsätzlich untergriffigen Umgang mit alten Ressentiments gerade in diesem Zusammenhang.

Denn solche Polemiken laufen auf antislawische Ressentiments hinaus, wie man sie noch in den steirischen „Jungbürger-Büchern“ aus meinen Kindertagen und brav-bürgerlichen Weihnachtsgaben der jüngsten Vergangenheit auffinden kann. Ich behaupte Kontinuitäten in all dem. Das ist degoutant!

Diese Verwicklungen sind uns nahe. Räumlich, emotional und historisch. Sie sind das Echo von Katastrophen Eropas, die zu verhindern wir jüngst nichts beizutragen gewußt haben. Weil wir hier leben, als würde uns das alles nichts angehen. Aber es geht uns etwas an.

Freilich hab ich Euch nichts vorzuschreiben, wie auch sonst niemandem. Ich kann überdies keine Antworten auf die von mir gestellten Fragen erfordern. Daß diese Antworten ausblieben, spricht mir für sich. Also habe ich den erwähnten Schritte getan und Euch meine Gründe genannt.

Ich verneige mich vor Diderot und gehe meiner Wege!

Yours!
Martin Krusche, Autor

[Balkan-Reflex]

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