1. August 2005 Mit dem
heutigen Tag ist die Übergangsfrist abgelaufen und der Kulturpfusch des Jahrzehnts, die
Rechtschreibreform, gilt als verbindlich. Es heißt, daß es zum Beispiel Leuten aus der
Kunst frei gestellt sei, diese Reform auszuschlagen. Na sowas!
Faktum bleibt, daß mit dieser aufwendigen Arbeit
("aufwändig") eine Menge gut bezahlter Leute betraut waren. Denen es für ihr
Salär nicht gelingen wollte, ein Regelwerk zu schaffen, bei dem es selbst Professionals
in der Vermittlung dieses Regelwerkes recht verläßlich gelungen wäre, sich den neuen
Status halbwegs widerspruchsfrei anzueignen. Weil ja erneut allerhand verblüffende
Besonderheiten hineingearbeitet sind, die ... ach, ich spar mir das.
Am Ende dieser Übergangsfrist sehen wir, es wurde wieder
"Herrschaftswissen" generiert, dessen Aneignung überaus mühsam ist, dessen
Besitz einen als Bewohner von Extrapositionen ausweist. Zum Wegrennen ...
Cut!
Unlängst
hatte ich lokale Debatten über die Konsequenzen der Terrorattacken. Wobei stets neu zu
verhandeln bleibt, was solche Vorfälle an Einschränkungen der Bürgerrechte eigentlich
vertragen. Zum Aufrüsten des öffentlichen Raumes mit mehr Videokameras hat Fotograf Michael Gröller eine interessante
zweite Variante auf Lager:
"Ich möchte zB. sehr wohl Bereiche meines Lebens im
öffentlichen Raum verbergen, selbst Teile die nicht illegal sind ;-) Eine Lösung wäre
also, daß Leute dieser Einstellung sich zB. eine Webcam in Form einer Stirnlampe
aufsetzen um sich selbst (!) zu filmen und dann halt - falls in Gleisdorf ein
Rucksackbomber auftaucht - mit ihrem eigenen Filmmaterial beweisen können, daß sie
"es" nicht waren - also unschuldig sind!"
Cut!
Ich hab im Zusammenhang mit den Attacken der
Dschihadis unlängst Ken Saro-Wiwa erwähnt. Dessen Schicksal mir da eingefallen ist.
Warum? Wie hängt das zusammen? Vordergründig natürlich überhaupt nicht. Der
nigerianische Schriftsteller Saro-Wiwa wurde 1995 aufgehängt.
Ich war in den 1980er-Jahren vom
Schriftstellerverband der DDR nach Berlin eingeladen worden und brachte von dieser Reise,
neben vielen anderen Büchern, ein schmales Bändchen mit nach Hause. Ich schleppe mich
auf Reisen immer mit Büchern ab. Drunter war damals das Mandingo-Epos
Soundjata von Djibril Tasmir Niane aus Guinea. Dessen Lektüre hatte mich
erneut für afrikanische Literatur interessiert. Der Ullstein Verlag war Anfang der 80er
mit der Reihe Dialog Afrika auf dem Markt, wovon ich eine frühe Ausgabe der
Zeit der Gesetzlosigkeit des Nigerianers Wole Soyinka habe. Diese Lektüre
hatte mir den Weg zu Saro-Wiwa gewiesen.
Greenpeace erinnert daran, was ihm
später geschah:
In Nigeria wurde Ken Saro Wiwa im November 1995
auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Shell und den Ogoni hingerichtet. Die
Umweltzerstörung schreitet dort ungehindert fort. Die Trinkwasserquelle für 150.000
Menschen wurde durch den Ölaustritt in Ogdobo im Juni 2001 zerstört. In der feuchten
Sumpflandschaft kommt es bei den bis zu 20 Jahre alten Pipelines immer wieder zu
Ölunfällen. Mehr als 400 Menschen starben bei der Explosion einer Shell-Pipeline. Shell
und andere Konzerne lassen dort noch immer in hohem Maße Gas abfackeln, dass zur
Rußbelastung der Äcker führt und die Atemluft vergiftet. (Quelle)
Warum ich das erzähle? Wir haben lange
in großer Sicherheit gelebt, nichts und niemand würde unsere Leben in Wohlstand
antasten. Was sich der Shell-Konzern da nachsagen lassen mußte, betraf ja die gleiche
Company, die auch in unserem Land besteht. Hätte man sich je ausmalen können, deren
Crews würden uns Ähnliches zumuten wie dem Volk der Ogoni, dem der Autor angehörte?
Niemals!
Die Zeit der Asymmetrie ist offenbar
vorbei. Nein, ich will Shell nicht mit al Quaida vergleichen. Nein, Selbstmordattentäter
sind eine ganz andere Kategorie an Problemen denn Schwerarbeitertrupps der Ölindustrie.
Nein, das ist alles gar nicht vergleichbar. Aber es hat eine Schnittstelle: Das Töten von
Menschen ist das Töten von Menschen. Ein Toter ist ein Toter.
Wenn also nun die Angst und die
Gefährdung langsam an uns heranreichen, jene peinigenden Bedrohungen, in denen man sein
Leben verlieren kann, und nichts und niemand wäre in der Lage es abzuwenden sobald es
geschieht, wenn uns das auch in unseren Landen vor Augen steht, haben wir doch bloß zur
restlichen Welt aufgeschlossen.
Wir haben nun reichlich Anlaß, uns
erneut zu fragen, wie ernst wir solche Mißstände nehmen, unter denen Menschen krepieren.
Egal ob hier, ob 200, ob 2.000 Kilometer entfernt ...
Wir sind fassungslos, daß junge Männer,
die sich auf den Islam berufen und auf brennende Konflikte, die weit von uns stattfinden,
in unsere Straßen, auf unsere Plätze kommen, um uns hier den Tod zu bringen. Was genau
ist in diesem Zusammenhang das Unsere? Und was geht uns das an, das Tausende
Kilometer entfernt geschieht? Oder grade mal 250 Kilometer? Allerhand Klärungsbedarf, wie
die letzten Jahrzehnte zeigen.
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