23. Juli 2005 Grade noch
mitten in der serbischen Nacht, schließlich zurück
in den "Türmen
von Zemun". Zwischen den fröhlichen Kindern, den kläffenden Hunden, den
leichtgängigen Alarmanlagen und brüllenden Autobussen, nur wenige Schritte von der Donau
entfernt, deren Breite mich in dieser Passage immer wieder erstaunt.
Am Rande einer der großen Einfallstraßen war ein Plakat
zu sehen gewesen, das Antlitz einer alten Frau darauf, eine Konfrontation mit den
Massakern von Srebrenica. Ich hab allerdings danach keines wieder gefunden. Und in einigen
Gesprächen war unmißverständlich zu erfahren, daß die Auseinandersetzung mit der
eigenen Rolle im vergangenen Sezessionskrieg hier voller Irritiationen ablaufe. Was ja
kaum verwunderlich ist. Wenn wir bloß an unseren eigenen Erfahrungen Maß nehmen, wie
schwer es Österreich heute noch fällt, die Unterscheidung zwischen Schuld und
Verantwortung klar im Blickfeld zu halten. Und dem Faktum der Verantwortung entsprechende
Handlungsweisen zu zollen.
"Serbien den Serben", das findet sich natürlich
als Botschaft auf den Mauern der Stadt, dieses Credo des europäischen Nationalismus,
dessen Paraphrasen quer über den Kontinent verkündet wurden, "Österreich
zuerst!" hieß es unlängst noch bei uns, und immerhin, das wird noch zu erörtern
sein, immerhin kann das kein Zufall sein, wenn wir das 20. Jahrhundert betrachten, daß an
dessen Anfang und Ende ganz verblüffende Auffälligkeiten zu finden sind. Im Zusammenhang
mit Serbien.
Denn dieses 20. Jahrhundert beginnt (über den Daumen
gepeilt) mit dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie im Aufbrechen von Nationalismen.
Und endet in einer Ära des Ausdünnens der "alten" nationalistischen Konzepte
im Werden einer EU. Die Mitte ist mit Auschwitz markiert. Aber am Anfang und am Ende steht
Serbien im Blickfeld. Von den Schüssen in Sarajevo über Jasenovac zu Srebrenica. Was
sind das für Bilder im Bilderbogen der jüngeren Geschichte Europas? Wie kommt es, daß
ein Volk zweimal an so prominenter Stelle in einem Jahrhundert uns auffällig erscheint?
Am Tag meiner Abfahrt in den Süden hatte ich in "Der Standard" ein sehr
bemerkenswertes Interview mit Serbiens Präsident Boris Tadic gelesen. Er sagte über den
Balkan: "Hier steht über die Jahrhunderte alles im Zeichen einer Spirale des
Bösen."
Damit hat er gewiß NICHT ausgedrückt, es seien die
Menschen dort von einer Art, die dem Bösen besonders nahestünde. Eine plumpe Annahme,
die im Norden oft vorzufinden ist. Womit man sich in jenem Europa, das dem Blutvergießen
im Namen einer Nation nun schon einige Zeit entkommen ist, gerne von den eigenen
historischen Verstrickungen lossagt, die mit Südosteuropa bestehen ... [Balkan-Reflex]
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