9. März 2004
Faschismus war ursprünglich
ein Sammelbegriff für eine ganze Reihe von Regimes und Gruppierungen, die sich etwa ab
den 1920er-Jahren in Europa zunehmen bemerkbar machten. (Siehe den Eintrag vom 2.3.) Im Zentrum dieses Gefüges standen Mussolinis Italien
und Hitlers Deutschland besonders exponiert da.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand über
vielfältige wissenschaftliche Diskurse und manche massive Kontroverse eine sehr viel
präzisere Begriffsbestimmung ... Die sich allerdings einer Zusammenfassung in wenigen
Worten entzieht. Polemische Verkürzungen führen schnell zur Kritik, das enorme Ausmaß,
das bis heute singuläre Grauen zu relativieren, zu dem sich unsere Leute mit Hitler und
seinen Gesellen aufgerafft haben.
Ich formuliere das so als Sohn eines
Nazi-Soldaten, dessen genaue Kriegs-Karriere im Trüben liegt. So viel Schweigen. So viel
Blendwerk. Aber die Traumata, die aus Taten und Erlittenem Wirkung entfalten, haben unsere
Kindertage durchwirkt. Uns selbst. Es wurde nicht und wird kaum geredet. Das hat seine
Konsequenzen.
In letzter Zeit war da einiges Gezänk in
manchen Tageszeitungen. Rund um die Erinnerung an den Kanzler Dollfuß. Und daran wofür
er gestanden ist: Artilleriebeschuß von Gemeindenbauten. Konfrontation mit den Nazi.
Kampf der Sozialdemokratie.
Wie kann man nun, diesseits
wissenschaftlich strenger Kategorien, über Faschismus reden, ohne in Gezänk verfallen?
Es gibt faßbare Bilder, Skizzen, die eine Annäherung leisten, ohne auszuschließen, daß
auf dem Rest des Weges noch mehr zu finden und zu wissen ist.
Faschismus. Ein Führer, der keine
Rechenschaft ablegt und strikten Gehorsam fordert. Der seine Legitimation aus
mittelalterlichen Kategorien abzuleiten versucht, weshalb von einem Reich die
Rede ist. (Einer von vielen höchst irrationalen Aspekten dieses Systems.) Ein Regime, das
sich auf ein Einparteiensystem stützt, Opposition nicht zuläßt und selbst in den
eigenen Reihen kritisches Potential mit allen Mitteln ausräumt. (Mord eingeschlossen.)
Ein Staatssystem, das uneingeschränkte Definitionsmacht beansprucht und seine Propaganda,
seine Selbstinszenierung mit Mitteln betreibt, die technisch höchst modern ausgestattet
und verwendet werden.
Gewalt und Terror gegen alle, die nur
irgendwie querliegen, sind die Regel. Wissenschaft und Justiz korrumpiert, Medienwelt und
Bildungssystem unterworfen, die gesamte Gesellschaft hierarchisch durchorganisiert und in
entsprechenden Formationen gefaßt. Gebündelt. (Fasces = Bündel.) Alle Institutionen und
Agenturen dieser Gesellschaft gleichgeschaltet.
Der soldatische Mann als Idol, das
Militär als Ideal der Gesellschaft. Dauermobilisierung als Generalzustand, Krieg als
Weihefest, der Opfertod als Wert, Expansion als Mindestvorgabe.
Dahinter: Raub und Mord als Basis der Wirtschaftspolitik, die Verschleppung und
Versklavung von Menschen als Mittel einer anständigen Arbeitsplatzpolitik.
Rassenhaß als Staatsreligion. Anbiederung bei den verarmten Massen,
menschenverachtende Übereinkünfte mit Mächtigen, zum Beispiel mit den Industriellen,
von denen viele gerne aus der Sklaverei Profit ziehen. (Der vielleicht einzig greifbare
Bezug zum alten Rom.)
Plüschig-pompöse Selbstdarstellung,
geschickte Selbstüberhöhung. Als Lohn für Gefolgschaft und Unterwerfung vielfache
Vergünstigungen, vor allem aber die Legitimation von maßloser Aggressionsabfuhr zu
Lasten zahlreicher Sündenböcke, die systematisch erzeugt und ausgeliefert,
den Günstlingen und Mitläufern zum Fraß vorgeworfen werden.
Was dem Nazi-Faschismus eine besonders
ekelhafte Fratze verliehen hat, ist der unfaßbar breite KONSENS, den die Untaten in
weiten Bevölkerungsschichten fanden. Das Ausmaß an vorauseilendem Gehorsam und
mitlaufendem Erfüllungseifer. Es stellt den Faschismus unserer Verwandtschaft in einen
harten Kontrast zu anderen Formen totalitärer Systeme.
[kontakt] [reset] |