(Eine Hommage an
Aus der Stadt Reisende)
Was macht eine Seite aus? Die Druckseite auf einem Blatt Papier oder die HTML-Page auf
einem Computerbildschirm haben etwas Gemeinsames. Es besteht eine Wechselbeziehung
zwischen Code und Schnittstelle. Die Codes befinden sich auf einer Oberfläche, welche
Teil eines Vermittlungsmechanismus ist. Eines Apparates, der diese Codes überträgt,
ordnet und gleichzeitig durch Codes bestimmt wird. Neben den sehr verschiedenen
Produktionsweisen, die beide unterscheidet, Papier / Bildschirm, ist eine Seite eine Art
Schaltbegriff. Der es ermöglicht, im Sinne einer Übertragung einen Austausch zwischen
Buch und Computer herzustellen.Die Schnittstellen
und Codes sind Teile der Praktiken, die man als Technologie und
Diskurs bezeichnen kann. Die Praktiken des Erzeugens von Schnittstellen und
des Sich-Einschreibens verschmolzen in einer Form, die man Seite nennen kann.
Es könnte auch eine andere Form sein. Wichtig ist nur, daß es eine Verkörperung gibt,
die erkannt werden kann. Und es bedarf eines Betrachters, eines Lesers, der diese
Verkörperung erkennt.
Aber der Blick des Lesers fällt nicht nur aus einer
Richtung auf die Seite. Die Seite eröffnet zugleich einen Spiegelraum, der zu
einem sozialen Feld wird. Sie ist Teil des Wahrnehmungsprozesses. Sie ist bewohnbar und
bewohnt. Sie schaut zurück.
Seiten sind äußere Fassaden diverser diskursiver
Praktiken, Verkleidung der Gedanken. Sie sind wie interaktive Oberflächen oder
Repräsentationen, die neue Räume eröffnen, welche sie zuvor nur repräsentiert haben.
So entsteht ein System von Schnittstellen, Codes und
Verkörperungen, die untrennbar mit einander verknüpft sind, die in eine komplexe
performative und prozessuale Schleife münden. Mathematisch gesehen handelt es sich hier
um eine Form endloser Ketten, wobei diese Ketten verschiedene andere Ketten von Wissens-
und Handlungsfeldern darstellen. Jede der Verkörperungen besetzt ein Teil des Raumes,
gleichzeitig aber generieren sie die leeren Zwischenräume. Ein Grund in die Tiefe zu
gehen, wo es aber weder Raum noch Zeit gibt.
Solche Seiten und Systeme zu generieren hält Martin
Krusche für seine künstlerische Aufgabe. Nun sind diese bei ihm ab and zu in die
Horizontale von Bahngleisen umgelegt. Die Hierarchien der Links und Systeme verschwinden
dann. Die ordnende Kraft verliert ihre feste Position, kann nun den Prozeß nicht mehr
steuern.
Eine Seite / Page schafft einen Raum. Wie findet man Zugang
zu einer Seite? Wie orientiert man sich? Wie bestimmt man sie? Diese Fragen öffnen
weitere Fragen. Wie findet man Zugang zu einem Raum? Wie orientiert man sich dort und wie
bestimmt man ihn? Diese Fragen stellt sich Krusche in seiner Schienen-Matrix, die er auch
real (physisch) betritt.
Einer der Gründe für
diese Wanderungen sieht Krusche in seinem Misstrauen gegenüber den von unserer Kultur
vorgegebenen Realitäten. Er nimmt die bekannten Routen, welche alltäglich benutzt
werden. [...] |
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[...] Wir alle
wissen, wie eine Eisenbahnstrecke zwischen A und B in einer hügeligen Landschaft
ausschauen kann. Doch Krusches Strecken erleben durch kleine Aktionen, die er auf ihnen
realisiert, eine Transformation. Sie verlieren die ihnen zugeschriebenen Stereotypen. Die
Routen bekommen ein zweites Leben. Krusches
Wanderungen verlangsamen diese Strecken. Im Vergleich zur Geschwindigkeit eines Zuges, der
ab and zu an ihm vorbeifährt. Mit dem Rhythmus der verlangsamten Bewegung, die nur vom
Wetter beeinflußt werden kann, mit der Entfernung von bewohnten Orten, wächst die
Distanz zur Alltagsrealität. |
Aber auch, im übertragenden Sinne, die Distanz zur
eigenen Geschichte und Kultur. So wird versucht, das Eigene von außen zu erfahren:
Draußen, auf den Schienen, erfolgt eine Wahrnehmungsveränderung von Raum und Zeit.
Grenzen verschieben sich. Der Blick des Künstlers richtet
sich ebenso nach innen wie auf die überschaubaren, unspektakulären Dinge. Unter seinen
Füßen zerfällt unmerklich eine Welt, die er aber nicht zerfallen läßt:
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Eine toter Handschuh, den ein Arbeiter irgendwann auf der Strecke verloren hat. Ein toter
Vogel. Zeichen der Anwesenheit eines anderen Lebens. |
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Die zwischendurch kargen Landschaften sind Folie für
das Verborgene. Sie sind für den Künstler die Grenzzonen zwischen Kulturen, zwischen
großen Geschichten. In ihrer Funktion als Transiträume. Im realen und im
übertragenden Sinn. So sind für Krusche die Schienen (und Zwischenräume) von einem Ort
zum anderen zugleich soziale Räume, die wirtschaftlichen und politischen Interessen
unterliegen. Die Bahnstrecken sind Verweise auf frühere Machtverhältnisse und deren
Projekte. Das Bahnnetz ist materieller Ausdruck von vollzogener
Zivilisationsarbeit.
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