martin krusches [flame] logbuch / blatt #57

Ich bin gerade wieder knietief in der Moblitätsgeschichte und im Handewerklichen gelandet. Dabei sind gleich rund 150 Jahre zu durchmessen, deren Ausläufer wir gerade leben. Dabei ist ein eigenes und großes Thema die Stromlinie und was sie an kulturellen wie sozialen Konsequenzen bewirkt hat. (Siehe: "Das Stromlinien-Baby"!)

EIN UNIKAT: DER STYRIAN STREAMER

Ich hab es schon mehrfach erwähnt, die schlampige Trennung von „Körper- und Geistwelten“ halte ich für sehr anfechtbar und ich habe einigen Respekt vor der ganz eigentümlichen Intellektualität, die sich Handwerker durch ihr Tun erwerben.

Das alles ist ein Themenspiel zwischen Europa und Amerika. Die Steiermark hat dabei besonderen Rang. Es erscheint mir lohnend, etwas auszuloten, woran das gelegen haben mag.

Damit die Dimensionen klar sind: Altmeister Johann Puch, vormals untersteirischer Keuschler-Bub, war einige Zeit der bedeutendstes Fahrradproduzent der Welt. Im blieb dann nur wenig Lebenszeit, um auch noch hervorragende Motorräder und Automobile von internationalem Rang anzubieten.

EIN ALBL GRAZIOSA FAHRRAD VOR DEM ALBL PHÖNIX

Als Puch gerade aus dem Militärdienst in die Reserve entlassen wurde und sich in  Graz umsah, was für ihn zu tun sei, war Benedict Albl schon ein erfolgreicher Fabrikant. Die Fahrräder aus dem Hause Albl beeindrucken heute noch. (Siehe: "Graziosa Chainless 1899"!)

Johann Puch war ein Weilchen bei ihm angestellt. Albls Sohn, der rennsporterprobte Josef Albl, baute 1902 den ersten Albl Phönix Motorwagen. Eine kleine Voiturette mit DeDion-Bouton-Motor.

Es ist davon kein Exemplar mehr als erhalten bekannt, mit Ausnahme des einen Phönix, den Sammler Sepp Schnalzer aus sehr schlechtem Zustand wieder aufgebaut hat.

Katharina Lagler hat vermittelt, wir werden also dieses älteste in der Steiermark gebaute Automobil bei unserer Herbst-Session zeigen können.

Ende des 19. Jahrhunderts bemühte man sich, das Ingenieurswesen in der akademischen Welt zu etablieren. Die „Maschinenwissenschaft“ wollte sich gegenüber älteren Wissenschaftszweigen emanzipieren.

DIPL. ING. KARL HAAR UND SCHÜLERIN ANJA DONOLO MIT
DEM 1:1-NAHBAU EINES FAHRRADES ("SAFETY") VON 1889

Das ist die Ära, wo Handwerker und Ingenieure gleichermaßen bedeutende Rollen spielen, wo die Fahrzeug- und Mobilitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben wird. Das heißt auch, längst nicht alle, die Bedeutendes geleistet haben, waren davon auf einem Polytechnikum oder einer Technischen Universität.

Handfertigkeit, Problemlösungskompetenz und Unternehmergeist blühen oft auch in kleinsten Hütten. Die Beispiele solcher Qualtitätsbündel liegen keineswegs ein Jahrhundert zurück. Heute werde ich fündig, wenn ich mich in der Schrauber-Szene umsehe, wenn ich auf „Customizing“ achte.

Wenn ich bei Andi Reisinger, einem exzellenten Tätowierer, ums die Ecke rausche, stehe ich gelegentlich mitten zwischen Artefakten dieser Szene. Das sind subkulturelle Momente. (Siehe: "Der Beobachter..."!) Das zeigt sich etwa auch an den „Blechmännen“, denen ich kürzlich in die Radl-Pause am Gleisdorfer Kirchriegel gestolpert bin.

CUSTOM CARS: MODIFIZIERTER MERCURY (HINTEN) UND
BUICK BEI ANDI REISINGERS "TRUE FELLAS"

Derlei verzweigt sich aber auch ins formelle Fach, wenn ich etwa den Diplomingenieur treffe, dessen Vater noch ein Puch-Schöpfer war. „Von ihm hab ich alles gelernt“, meinte Karl Haar einmal in einer Plauderei. Und er gibt es mit engagierten Kollegen an junge Menschen weiter. (Siehe: "Das Safety von 1889"!)

Unsere Region ist voll der Plätze, an denen Menschen ihre Geschicklichkeit und ihren Einfallsreichtum erproben, pflegen. Das mischt sich stellenweise mit künstlerischen und kunsthandwerklichen Aspekten. Wir haben also eine Menge Berührungspunkte, die genauer zu erforschen vor uns liegt.

Interessiert? Sie können die handelnden Personen solcher Zusammenhänge auch real kennenlernen. Unser "Kuratorium für triviale Mythen" verdichtet das heuer im Herbst zu einer Reihe von Veranstaltungen:

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