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Leo Lukas Schwejk
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"Während aber andere Dichter zum Krieg Stellung nehmen, sich
mit ihm auseinandersetzen, ist der Roman Jaroslav Haseks bemerkenswert, weil in ihm der
Krieg, man könnte sagen, sich selbst aufhebt ... Der Schwejk ist ein Triumph des gesunden
Menschenverstandes über die Phrase. Da Hasek und sein Held Schwejk jenseits aller
überkommenen und anerkannten Begriffe, jenseits jeder Konvention stehen, so erleben wir
hier die Konfrontation des einfachen Menschen mit der Unnatur des Massenmordes und des
Militarismus auf jener Ebene, wo sich jeder Sinn in Unsinn, aller Heroismus in
Lächerlichkeit und die göttliche Weltordnung in ein groteskes Irrenhaus
verwandelt." (Erwin Piscator)
Traurig, daß der "Schwejk" zur Jahrtausendwende immer noch/schon wieder aktuell ist! Trotzdem werden wir "unseren" Schwejk, der ab 17. September 1999 im Grazer "Orpheum" und im Sommer 2000 auf den "Kasematten" gezeigt wird, nicht vordergründig "aktualisieren". Wir bleiben in Prag, im "Ersten Weltkrieg", weil letztlich jeder Krieg allen Kriegen gleicht, vom ersten bis zum letzten sinnlosen Tod; und weil wir unser Publikum für klug genug halten, die Parallelen zu Graz, zum Kosovo, zur NATO selbst ziehen zu können. Aber der Reihe nach. Anfang 1998 trat Heimo Radkovic vom "Orpheum" an mich mit der Idee heran, das hundertjährige Jubiläum seines Hauses auf ganz besondere Art zu begehen. Einen "Schwejk" wolle er auf seine Bühne stellen, als Singspiel, besetzt überwiegend mit Steirischen Kabarettisten "denn der Schwejk", sagte Heimo, "ist doch euer aller Stammvater!" , und die Titelrolle solle Irene S. spielen. Ja, eine Frau. Schock: Eine Frau? In der Rolle, in der Max Pallenberg, Heinz Rühmann, Peter Alexander, Fritz Muliar brilliert haben? Ich erbat mir Bedenkzeit, las den Roman nochmals, zog dann den Hut vor Heimo: Klar, eine Frau! Natürlich! Denn die Welt, deren abgrundtiefe, furchtbare Lächerlichkeit Schwejk bloßlegt, indem er sie als offenbar Einziger beim Wort nimmt, ist eine durch und durch männliche Welt, eine militaristische, "marsianische" (nach John Gray oder Peter Handke, ganz wie Sie wollen)! Frauen spielen darin keine nennenswerte Rolle, höchstens als Haushälterin, leichtes Fräulein oder namenloses Opfer. Schwejk (nicht als Frau, aber) von einer Frau spielen zu lassen, gegenüber einem ansonsten rein männlichen Ensemble (das auch die wenigen klischeehaften Frauenrollen übernimmt), unterstreicht, klärt, überhöht seine "idiotische" (im Sinn von "eigene") Position. Davor steht und stand freilich viel Arbeit. Jaroslav Hasek hat ja "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk im Weltkrieg" nicht dramaturgisch aufgebaut, auch nicht als Roman, sondern hat sie als Fortsetzungsgeschichte von Woche zu Woche weitergeschrieben, nie redigiert, auch nicht annähernd "fertiggestellt" er starb bekanntlich vierzigjährig, da war sein "Held" noch nicht einmal an die Front gelangt. Mein Co-Autor Ten Pan Sni und ich mußten uns durch einen Berg von Figuren, Schauplätzen, wunderbaren, aber kaum verknüpften und oft unglaublich ausufernden Dialogen wühlen. Daß wir letztlich doch einen spielbaren Text zustandebrachten, ist hauptsächlich Pan Sni zu danken, der rigoros Schauplätze und sogar Figuren zusammenfaßte. Gleichwohl ist "unser" Schwejk nicht mehr als ein Hundertstel des Hasekschen Originals, so sehr wir uns auch bemühten, seine Farbigkeit und Schärfe in den Dialogen und Liedtexten zu bewahren. Überhaupt liegt die Latte hoch, wie´s höher kaum geht. 1928 brachte Erwin Piscator den Schwejk mit großem Erfolg in Berlin auf die Bühne. An der damaligen Dramatisierung wirkten Bert Brecht und Max Brod mit; Bühnenbild und Projektionen (ja, auch damals schon, und damals wohl noch weit sensationeller empfunden als heute!) gestaltete George Grosz, die Titelrolle gab Max Pallenberg ... Noch bekannter sind heute freilich die Verfilmungen mit Rühmann, Alexander, Muliar. Doch erkannten wir bei der Arbeit am Text schnell, daß der Original-Schwejk Haseks mit dem liebenswürdigen K.u.K.-Milieu der Filmkomödien nicht allzuviel gemeinsam hat: "Aus Schwejk, der alles ernst nimmt, bis es lächerlich wird, der alles befolgt, bis es zur Sabotage wird, der alles bejaht, aber in einer Weise, die es vernichtet, wurde ein Trottel von Offiziersbursche, der ahnungslos die Geschicke seines Oberleutnants zum Guten wendet!" (Das schrieb zwar Gasbarra, ein Mitarbeiter Piscators, bereits 1928 über den ersten mißlungenen Dramatisierungsversuch Max Brods und Hans Reimanns, die der Handlung eine Liebesgeschichte aufgepfropft hatten, aber es trifft auch erstaunlich gut auf die Verfilmungen zu ...) Unser Schwejk soll also wieder böser, näher an Hasek sein, der keiner einzigen seiner Figuren ihren jeweiligen Beitrag zu den Greueln des Krieges verziehen hat. Oberleutnant Lukasch zum Beispiel ist kein charmant-liebenswerter Filou, sondern genauso ein, pardon, Arschloch wie alle anderen, der seine Position als Ausbildner schamlos ausnutzt und Kameraden an die Front schickt, um im Hinterland ungestört deren Frauen "trösten" zu können. Und so weiter. Darum ist es auch gut, daß Heimo Radkovic von Anfang an darauf bestanden hat, kein "Musical" zu wollen, sondern ein "Singspiel": Der Schwejk ist auch ohne rotweißrosarote Operettenseligkeit oder süßliche "Sissi"-Nostalgie witzig genug. Derzeit (dieser Aufsatz ist zu Ostern 1999 abgefaßt worden) sind wir, soll heißen: Gerhard Haderer, Jörg Martin Willnauer und ich, gerade dabei, unsere Vorstellungen zu synchronisieren, aus den drei Dimensionen Text Musik (Bühnen-) Bild eine Einheit zu synthetisieren, die Haseks Schwejk ebenso gerecht werden soll wie den Rezeptionsgewohnheiten unserer wunderbaren Welt der Jahrtausendwende. Möge die Übung gelingen! Leo Lukas m.p.
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SchwejkEin Singspiel frei nach dem Roman "Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk im Weltkrieg" von Jaroslav HasekIdee und Produktion: Heimo Radkovic Text: Leo Lukas & Ten Pan Sni Komposition und musikalische Leitung: Jörg Martin Willnauer Bühnenbild und Projektionen: Gerhard Haderer Regie: Leo Lukas BESETZUNG DER GRAZER URAUFFÜHRUNG: (am 17. 9. 1999 im "Orpheum"; weitere
Vorstellungen am 18., 21., 22., 23., 24., 25., 27., 28. und 29. 9.): MUSIK: Kritiken |