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Walter Grond: Akut

Gefährliche Wegkreuzungen
(Zukunft der Literatur)

In der österreichischen Gegenwartsliteratur wird viel über in die Gegenwart eingelagerte Vergangenheit geschrieben. Dabei vertrauen auch Autoren der jüngeren Generation dem nach rückwärts gewandten Blick, und nennen nicht wenige den Begriff der Information, seine Flatterhaftigkeit und die aktuellen Bezüge, die er schafft, als literaturunwürdig. Kürzlich erst äußerte sich Norbert Gstrein in diese Richtung und nannte strenge modernistische Sprachskepsis als Voraussetzung für sein Romanschreiben. Polemischer setzte Gustav Ernst in seinem Rundumschlag gegen multimediale Kulturtechniken den Postmodernismus insgesamt mit Kunstfeindlichkeit gleich. Verteidigt wird dabei stets eine Art essentielle Literatur. Diese sampelt und collagiert nicht historische Stoffe, verwendet also nicht tradierte Literatur als Konsumenten-Erinnerung spielerisch wieder, wie es einer multimedialen und computergestützten Kulturtechnik entspräche. Vielmehr heiligt ein essentielles literarisches Verfahren Geschichte durch den besonderen Autorenblick, also im Sinn einer Politik der Identität. Bezeichnenderweise nährt sich etwa Peter Handkes Serbienanbiederung aus Medienschelte, Technik- und Demokratie-Haß, und nennt als Feindbild den Computer, die Warenwelt und die Vernunft. Das Image essentieller Literatur war immer schon die Pose des radikalen Künstlers.

Weitaus interessanter, was die Zukunft der Literatur betrifft, erscheinen mir einige Phänomene in der Popwelt. In einer MTV Talk-Sendung hörte ich kürzlich ein Interview mit einem deutschen Rapper. Nach der Erläuterung von Grundzügen der poetischen Technik des Rappens, äußerte er die Überzeugung, anspruchsvolle zeitgenössische Narration ereigne sich heute hauptsächlich im Feld der Popmusik. Nun wurden in den letzten Jahren Hiphop, afrikanischer Pop oder Bad-Girls-Pop oft als multikulturelle Chimären des Neoliberalismus kritisiert. Und doch, unzweifelhaft kursieren mit der weltweiten Warenzirkulation auch Ideen und Vorstellungen unterdrückter und marginalisierter Kulturen, befördert also die Entwertung der Produktionsstandorte durch die elektronischen Kommunikationstechnologien auch das Entstehen einer neuen – multimedialen wie multikulturellen - Kulturmatrix.

Was für die Weltmusik gilt, gilt auch für postkoloniale Literatur. Sie erfreut sich in ihren Ursprungsländern wie auch in Europa großer Beliebtheit, nicht zuletzt ihres Rufes wegen, eine Literatur "von unten" zu sein und "etwas zu erzählen". Romane von Garcia Marques, Toni Morrison, Salman Rushdie, Tahar Ben Jelloun, Arundhati Roy oder Hanif Kureishi erinnern daran, daß wir in einer Epoche der Vertreibung und Migrationen leben, einer des Multikulturalismus wie der Vielsprachigkeit, einer der gespaltenen Identitäten und der gespaltenen Loyalitäten. Und: ihre Autoren verkörpern ein Verhalten, das die Warenkultur als gegeben hinnimmt und trotzdem mit einer kulturellen Praxis aufwartet, die politische Ansprüche hat. Postkoloniale Autoren entsprechen nicht dem Bild des radikalen Autors, eher dem von Popstars. So kommt denn auch der amerikanische Ethnic Studies-Forscher George Lipsitz in seiner Untersuchung der kulturellen Dimensionen einer globalisierten Wirtschaft zum Schluß, daß die heute spannendsten Entwicklungen paradoxerweise dort geschehen, wo auch die größten Gefahren lauern: an den Kreuzungswegen, wo sich Markt und Kunst begegnen, den Dangerous Crossroads von Ökonomie und Kultur. Gerade Künstler unterdrückter Völker, schreibt Lipsitz, haben den Kapitalismus am eigenen Leib begriffen und sind daher Wegweiser in die postindustrielle Welt.

Postkoloniale Literatur hat ebenso wie Popmusik den gigantischen Austausch von Bevölkerungen und von Kulturwaren rund um den Globus zum Hintergrund. Sie schafft vielfältige kulturelle Querverbindungen und führt zu eben jenen gefährlichen Wegkreuzungen, die die vielschichtigen Beziehungen zwischen Kunst und Kommerz sichtbar machen. Damit angezeigt ist auch die gigantische Umwälzung der Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie. Und: in einer Welt des andauernden Austausches von Informationen entlarvt sich die Pose des radikalen Künstlers als das, was sie attackiert und zugleich selbst ist: Inszenierung von Elitarismus.

Die literarische Moderne hatte sich an Modellen einer künstlerischen Avantgarde versucht, um von Freiräumen und autonomen Feldern aus gegen die bürgerliche Welt ideologisch mobil zu machen und einen radikalen Wandel der Gesellschaft vorzubereiten. Kunst war dann gut, wenn sie von einem negativen Künstlertum getragen war, was wiederum den negativen Rassismus des ästhetischen Menschen erzeugte (eine zutiefst bildungsbürgerliche Eigenschaft, die etwa die ikonenhafte Verehrung Thomas Bernhards erklärt). Im übrigen: Nicht zufällig versteht sich gerade die serbische Akademie der Künste als Rettungsanker eines essentiellen Abendlandes. Insofern hat sich Peter Handke nicht geirrt, wenn er sich dazu verstieg zu behaupten, die jüdische Frage habe man von verschiedenen Seiten aus betrachten können, das Leid der Serben sei hingegen eindeutig. So eindeutig, wie die Feinde Serbiens, des letzten planetarischen Landes, wie er meinte:

Computermenschen und Multikulturalisten. Die serbischen Autoren, deren nationalistische Pamphlete der Politik ethnischer Säuberungen vorausgegangen waren, argumentierten wie Handke und forderten, was Avantgarden immer gefordert haben: eine gesellschaftliche Totalersetzung. Dagegen wirkt ein Autor wie Salman Rushdie geradezu angepaßt: seine Sathanischen Verse predigen eine ironische Praxis des Kulturmixes und vielstimmigen Mischmasches. Postkoloniale Strategien reagieren auf die Erfahrung der totalitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts, wollen deswegen pragmatisch sein und innerhalb der Marktgesellschaft wirken. Über den Zusammenhang von Postkolonialismus und Popkultur hat George Lipsitz etwas Entscheidendes geäußert: War im Zeitalter der Industralisierung die Geschichte das große Thema der Literatur, verleiht die Reichweite und Bandbreite der elektronischen Kommunikation sowohl der Produktion wie auch dem Konsum ein weltweit gleiches, rationalisiertes Gesicht. So wird der Ort zum grundlegenden Problem der postindustriellen Ära. Popkultur stärkt das Gefühl für den Ort, indem sie zeigt, daß der gemeinsame kulturelle Ort nicht mehr unbedingt der gemeinsame geographische Ort ist.

In der für den Pop zentralen Technik des Sampelns werden Konsumenten zu Produzenten, ist also eine Verschleifung des Gegensatzes von Autor und Seher/Hörer/Leser vollzogen. Mit den benützerfreundlichen Oberflächen des WorldWideWeb wurde das Internet auch in Teilen der Literaturszene populär. Die Hoffnungen, die mit Hypertexten als einer Poetik des Transportes verbunden waren, haben sich zwar weitgehend erschöpft. Die Annahme, das Internet befördere die Literarität, fußte auf einem Mißverständnis.

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