Gerald Raunig

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"Künstler in die Kolchosen!"
(WochenKlausur als Update eines sowjetischen Experiments der späten 20er Jahre)

Im Mai-Heft der Kulturrisse erklärte F.E. Rakuschan die interventionistische Praxis der KünstlerInnengruppe WochenKlausur zum Relikt des Neoavantgardismus und den "Distinktionseffekt gegenüber anderen Mitbewerbern" zum einzigen Erfolg der Gruppe. Das ist nicht originell, bedarf aber dennoch einer Replik, die die Bezugspunkte der kritisierten Praxis noch wesentlich früher verortet. Und obwohl der folgende Text sich nicht explizit auf Rakuschan bezieht, versteht er sich auch als Antwort.

Sergej Tretjakov folgte 1928, in der Periode der totalen Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion, der Parole "Schriftsteller in die Kolchosen!" und ging in die Kommune "Kommunistischer Leuchtturm". Was sich die Moskauer Kreativen, die diesen Slogan erfanden, davon versprachen, blieb selbst für Tretjakov im Unklaren, Widersprüchlichen; die Ermahnungen, Ratschläge und Instruktionen, die dem Schriftsteller auf den Weg gegeben wurden, waren pathetisch und hohl, die ersten Erfahrungen geprägt von Bürokratie, Intransparenz und sozialen Barrieren.

In seinem 1930 erschienenen Buch "Feld-Herren" beschreibt Tretjakov unter anderem seine Wandlung vom tölpelhaften und gleichzeitig alles zu kontrollieren suchenden literarischen Bewältiger des Materials zum operierenden Schriftsteller, für den die Kolchose vom literarischen Thema zum Ort seiner gesellschaftlichen Tätigkeit wird. Er studierte die Lebensverhältnisse, indem er sich an der Arbeit beteiligte und damit auch zusehends mehr in die Verhältnisse eingreifen konnte. Und so liest sich die Punktation seiner Arbeitsbereiche: Einberufung von Massenmeetings, Sammlung von Geldern für die Anzahlung auf Traktoren, Überredung von Einzelbauern zum Eintritt in die Kolchose; Inspektion von Lesesälen; Schaffung von Wandzeitungen und Leitung der Kolchose-Zeitung; Berichterstattung an Moskauer Zeitungen; Einführung von Radio und Wanderkinos. [...]

Textauszug. Den Volltext können Sie hier als RTF-Datei downloaden.

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Aus: kulturrisse, August 1999
Der vorliegende Text ist eine bearbeitete Kurzfassung der Einleitung zum Buch "Charon. Eine Ästhetik der Grenzüberschreitung", Passagen-Verlag erschienen.

Gerald Raunig ist Philosoph, Vorstand der IG Kultur Österreich und u.a. Herausgeber des Bandes "Kunsteingriffe. Möglichkeiten politischer Kulturarbeit" (Wien 1998), in dem sich auch längere Aufsätze zu WochenKlausur, Distinktionsprofit und zum Verhältnis von Kunst und Politik überhaupt finden. Bestellungen bei IG Kultur Österreich, Tel. 01 5037120

• Siehe auch Gerald Raunig: "Kleine Vorsprünge"


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