kunstraum.gleisdorf: Neue Räume


Kleine Vorsprünge
Cyberkids und die Bannmeile

Von Gerald Raunig

Da stehen fünfhundert PolizistInnen ums Parlament und warten vergebens auf eine Demo. Die Straßenbahnlinien 1, 2, D, J, 46 und 49 verkehren nur eingeschränkt, Magistratsbeamte sind extra früher ins Büro gehuscht, und der Wiener Stadtschulrat bleibt vorsichtshalber gleich zu Hause: Anläßlich der ersten Nationalratssitzung unter der neuen Regierung wird die Bannmeile um das Parlament durch großräumige Abriegelung und die Sperrung zahlreicher Straßen gesichert. Allenthalben Absperrgitter.

Nicht einmal eine Miniatur-Kundgebung läßt sich ausmachen, und die Polizeipräsenz im ausladenden "öffentlichen" Raum um das Hohe Haus gibt ein gespenstisch militantes Bild ab. Gleichzeitig weht ein Hauch von Komik durch die Szene. Statt das Gewaltmonopol durch eine Verletzung des Versammlungsgesetzes und der Bannmeile zu erproben, gelingt es, den Staat auch mal ins Leere laufen zu lassen.

In komplementärer Ergänzung zu seiner Kehrseite, den bunten Bildern von der Angelobung und den täglichen Demonstrationen, vervollständigt dieses gespenstisch-komische Bild der Leere und Desorientierung die Szenerie der ersten Tage des Widerstands gegen die Regierung. Was ist es, das die Staatsmacht so schlecht ausschauen läßt? Am vierten Feber war es wohl die – Trägheit und Defensive vermittelnde – Wirkung der symbolischen wie realen Kontaminierung, einerseits durch die penetrante Absenz der Regierung, andererseits durch die unübersehbare Präsenz der Sperrgitter und von Eiern und Tomaten beschmutzten Uniformen. Die Bilder der Leere und Desorientierung dagegen sind durch einen Mechanismus der Beweglichkeit hervorgerufene, durch die Taktik der kleinen Vorsprünge: erlaufene auf der Straße und durch angewandte Medienkompetenz erarbeitete in virtuellen Räumen. Doch die Betonung liegt auf kleine Vorsprünge: die große Kluft zwischen den vernetzten Individuen der Internet-Generation und den veralteten Apparaten des Staates ist eine Fälschung von Medien und Bundeskanzler und deren virtuellem Script eines kulturpessimistischen Propaganda-Films, der die nationale Einheit durch die Internetrevolte von ferngesteuerten Cyberkids gefährdet sieht.

Der Staatsfunk war zwar nach den Pannen in den ersten Feber-Tagen, als die Leute durch die Verkehrsnachrichten erfuhren, wo die Demo gerade war, auf Linie gebracht, doch die vom Kanzler persönlich verunglimpfte Internetgeneration nutzte für's erste Technologievorsprung und -knowhow zum raschen Aufbau von parallelen Informationsstrukturen. Das Ausfallen der Mainstream-Medien war im Feber Null bei weitem nicht mehr so entscheidend wie in den Protestaktionen früherer Jahrzehnte. Die machten nach wie vor ihren Job als Hegemoniemaschinen, die Informationen liefen derweil auch an ihnen vorbei.

Die Flexibilität und Wendigkeit der Demos auf der Straße korrelierte mit einer schnellen – und vor allem horizontal vernetzten – Nutzung der – teilweise gar nicht mehr so neuen – Kommunikationstechnologien. Die bestand vor allem in einer ungeheuer schnell wachsenden Vielzahl von Internet-Plattformen, Online-Nachrichtendiensten, SMS- und Email-Ketten und der begleitenden aktuell-spontanistischen Berichterstattung durch Radio Orange 94,0. Diese Geschwindigkeit und Überfülle an Information – so mancher Mailserver erlitt Schicksale des mehrfachen Zusammenbruchs – und deren Unübersichtlichkeit – ein Prinzip, das freilich für alle gleichermaßen galt – brachte aber gerade die Polizei in eine Lage des hektischen Hinterherhechelns und des öfteren auch, im wahrsten Sinn des Wortes, des Danebenstehens. Während es vereinzelten potentiellen DemonstrantInnen relativ egal sein konnte, wenn sie auf eine versehentliche Falschmeldung von Radio Orange oder ein bewußt zirkulierendes Fake-Mail hereinfielen, war das beim hierarchisch organisierten Staatsapparat wesentlich folgenreicher.

Der "elektronische Widerstand" entwickelte sich hauptsächlich als ein verlinktes Netzwerk von Kleingruppen und Einzelpersonen, die den Vorteil im Nachteil des medial-individualisierten Vorgehens möglichst optimal nutzten: Ohne allzu genau auf ideologische Differenzen zu sehen, meist auch ohne sich persönlich zu kennen, wurde alles verlinkt, wo nur irgendwie Widerstand drauf stand. Nach ein paar Tagen übrigens auch durch den "Webring gegen blau-schwarz" http://webring.telnet.at, der hunderte Widerstandsseiten (natürlich auch viel Schrott) im Netz aneinanderkoppelte.

Schon ab erstem Feber fungierte die gegenschwarzblau-Website http://www.gegenschwarzblau.net als erste elektronische Adresse der Proteste. Entstanden aus der spontanen Berichterstattung über die Besetzung der ÖVP-Zentrale wurde sie für ein paar Wochen zu einem der Hauptumschlagplätze für schnelle Information, in den ersten Tagen mit bis zu 9000 Zugriffen. [...]

(Textauszug! Volltext als RTF-File HIER.)
[der 8. essay aus "wien feber null. eine aesthetik des widerstands" (turia+kant 2000)]
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Siehe auch: "Künstler in die Kolchosen!"


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