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[krusche*grond*house] von Walter Grond Was tun? Ich stieß Mitte der neunziger Jahre zum ersten Mal auf Netzwerkprojekte, in einer frühen Phase des World Wide Web, da künstlerisch-technische Environments fast ausschließlich einen sozial-utopischen Horizont formulierten. Inzwischen ist der emanzipatorische Anspruch in bezug auf das Internet zwar nicht aufgegeben, die Kluft zwischen Netzwerkintellektuellen, Technikern und Usern ist indes kaum größer vorstellbar. Das Internet befördert auch weniger eine kritische Öffentlichkeit, als daß es ein bevorzugtes Feld der New Economy geworden ist. In der Maske eines funky Lebensstils wird ein konservatives Menschenbild allmächtig: die Welt als Schlachtfeld der Tatmenschen. Vor Jahren hätte ein Projekt wie (house) den Anspruch auf kritisches Bewußtsein postuliert, heute spiegelt es in der Tradition der literarischen Salons eine melancholische Haltung wieder. (house) ist ein Schlupfloch für Menschen, die morgens beim Aufstehen das Gefühl nicht loswerden, schon wieder auf dem falschen Fuß zum Stehen zu kommen. Sie fragen sich, was das für ihr Nachdenken über das Leben bedeutet, und entdecken, daß es den Anderen, den Fremden, schon immer so erging. Sie fragen sich weiter, ob sie nicht gerade dabei sind, sich eines fremden Lebensgefühls, das gleichwohl das ihre ist, zu bemächtigen, und stellen dabei fest: sie sind in die Jahre gekommene Rebellen. Was also hat es mit einem fortgeschrittenem Bewußtsein auf sich? Sie fragen sich weiter, ob das nicht typisch für ihre Gegenwart ist, und was das für ihr Nachdenken über den Alltag, die Politik, die Kunst und die Wissenschaft bedeuten mag, und ob diese Zweifel nicht auch mit der Entdeckung zusammenhängen, in einer Welt zu existieren, in der weit auseinanderliegende Erscheinungen immer schneller zusammenschrumpfen. Sie reden also über Kolonialismus, über Medienkonvergenz, über das Fremde, über die Peripherie. So entstand (house) als elektronisches Zimmer für Leute, die aus unterschiedlichen Gründen mit einem Dazwischen-Gefühl leben und das Internet nützen, um über tausende Kilometer hinweg die Koordinaten ihrer Arbeit und ihrer Existenz zu kommunizieren. Gedankenaustausch im Salon, in dem nicht geflüstert werden kann, sondern alles schwarz auf weiß steht. Über das Fremde zu reden, erfordert das Eigene offenzulegen, sich verwundbar zu machen. So schichtete (house) am Anfang verschiedene Seiten aufeinander, verschränkte im Hypertext Spuren der drei Macher, Geschichten, die "Grond, Krusche, Zeyringer" als Prägung für ein Papier trugen, das bald andere, die Anderen, mit beschriften sollten. Dem ständige Umbau wird in (house) ein Gedächtnis beigesellt, ein Archiv, das die Phasen dokumentiert, die durchlaufen werden, von der Website mit Bühnenmetapher, auf der in verschiedenen Masken gespielt wird, zu der eines kalten Zimmers, das sich erst mit dem Betreten und Hinzumischen seiner Gäste aufheizt. Das Wissen, das sich in (house) sammelt, erfährt eine überprüfbare Grenze, seinen utopischen Horizont: die Anwesenheit von Menschen im Salon, die beim Eintreten als "Dimitrijevic, Kodjio, Bary usw." portraitiert werden und mit ihrem Portrait nicht nur mitzudebattieren, sondern ihre eigenen Erzählungen zu entwerfen beginnen. Die Kluft zwischen Reflexion und Tat will (house) verkleinern, im elektronischen Salon rückt das Periphere ins Zentrum, werden die Rollen der Akteure ständig getauscht, schwemmt das Eisbergprinzip verschiedene Möglichkeiten des Internets an die Oberfläche. Darin ist auch der babylonische Sprachenturm angelegt, der Zwischenruf der fremden Sprache, der zum Prinzip wird - Texte in allen Sprachen, Pluralisierung der Kultur, bis das Durcheinander perfekt ist. Dann wird es Zeit sein für eine englische Version. vgl. das Konzept von [krusche*grond*house] in dichtung-digital InterSzene / 14.-16. 7.
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