Das Buch
Treatment
Romanaufbau |
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Ich fühle mich
Geistesabwesend suchte Johan Nichol nach seinem
Wohnungsschlüssel, darum fiel ihm die Maus zuerst gar nicht auf: Ihre Überreste, der
Kopf und der Schwanz, lagen auf dem Fußabstreifer vor der Tür.
Marina, seine Frau, lehnte an der Wand und umfaßte mit beiden Händen den Saum ihres
Webpelzmantels. Sie rieb ihn zwischen Daumen und Zeigefinger; der Mantel war aufgeknöpft.
Ihr Gesicht war weich, und ihre Zunge befeuchtete die Lippen. Die kurzen Haare ließen sie
noch jünger aussehen. Der spitzbübische Schnitt, mit dem sie ihn in der Ankunftshalle
überrascht hatte, ließ die Ohren frei, und die dunklen Brauen betonten ihre Augen. Sie
war schön, sie regte ihn auf. Ihre Hand griff an den Mund, Marina biß sich in die
Unterlippe. Am Tragegriff von Nichols Koffer klebten noch die Schleifen des Moskauer
Flughafens.
Endlich fand er den Schlüssel, sperrte die Tür auf, bückte sich und wickelte den
Mauskadaver in ein Taschentuch.
"Katzenliebe", sagte Nichol, nicht ohne bitteren Ton.
"Mach schnell, Chérie."
Die Katze der Nachbarin nervte ihn. Er schaute ihr nicht in die Augen, aber das
schnurrende Vieh verstand seine Reserviertheit falsch und schmiegte sich gern an ihn. Von
Zeit zu Zeit jagte sie im Hinterhof und legte ihm dann Mäuse vor die Tür. Angewidert
schmiß er jetzt die Überreste der Maus in den Müllschlucker. Beim Zurückgehen streifte
er am Pelzmantel, und Marina zog ihn an sich und küßte ihn auf die Schläfe, das Haar,
das schon grau war.
In der Schlafzimmertür drückte Marina die Fingernägel in seinen Rücken, und er fühlte
sich stark, und sie war laut und wild. Dann lag Nichol schwitzend auf dem Futon und
blickte sich um, als hätte er dieses Zimmer gerade erst erobert. Das Bett, auf dem er
lag, stand diagonal gegenüber der Tür, umgeben von blauen Tapeten. Alles war
ausgeklügelt, nach Feng-Shui-Regeln geordnet, der Spiegel mit Brokat-Stoff verhangen.
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