Schreiben am Netz

Literatur im digitalen Zeitalter

von Johannes Fehr

 

Vom 5.-7. Juni 2002 wird an der ETH Zürich das Symposium „Schreiben am Netz. Literatur im digitalen Zeitalter“ stattfinden. Das Konzept für dieses Symposium und das diesem  vorangehende Webprojekt „Schreiben am Netz“ wird vom Collegium Helveticum gemeinsam mit Walter Grond entwickelt, der im Frühjahr 2002 als dessen literarischer Gast nach Zürich kommen wird.

Den Anstoss zum Projekt gab die Website [house],   welche von Walter Grond und anderen im Umfeld seines im August 2000 erschienenen Romans Old Danube House eingerichtet wurde. Im Netz sollte ein Ort der Auseinandersetzung mit dem Roman und seinen Themen geschaffen werden — „eine Öffnung im Weiter-Schreiben, Weiter-Ab-Bilden, Weiter-Denken...“. Daraus ist inzwischen ein rege besuchter Salon entstanden, der eine ganz bestimmte unter vielen möglichen Strategien darstellt, das Netz für literarische Arbeit zu nutzen und zugleich eine literarische Auseinander­setzung mit dem WWW, mit dessen technischen Vorgaben und kulturellen Auswirkungen zu betreiben.

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Von März bis Juni des kommenden Jahres wird nun das Collegium Helvetcium seinen eigenen literarischen Salon im Netz eröffnen. Walter Grond wird darin seine am Netz gewonnen Erfahrungen sowie Themen und Gäste aus [house] mitbringen. Neben diesen wird aber Helga Nowotny als Gastgeberin des Salons auch eine Reihe anderer Autor/innen, Wissenschaftler/innen und Webaktivist/innen empfangen, ebenso wie die Kollegiat/innen und Mitarbeiter/innen aus dem Umfeld des Collegium Helveticum.

Mit der Einrichtung eines literarischen Salons wird auf eine traditionsreiche Metapher zurückgegriffen, die gewisse Umgangsformen und ein besonderes Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit vorgibt. Entsprechend wird sich die Frage stellen, was diese Metapher im Umgang mit dem Netz taugt, und weiter, was sie alles impliziert, wie genau also ein literarischer Salon im Netz funktionieren kann. Gerade um diese Fragen aber sollen die Debatten im Salon kreisen, und damit dies auf der Basis konkreter Praxis geschieht, wird der Zugang zum Salon allein über das Netz und mithin über die Auseinander­setzung mit dessen medialen Rahmenbedingungen und Diskurs­strategien führen.

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Gleichzeitig mit seinem literarischen Salon wird das Collegium Helveticum zwei weitere Diskursräume im Netz eröffnen. Im Labor wird es all seinen Kollegiat/innen, seinen Mitarbeiter/innen und den Gästen des Salons die Möglichkeit bieten, ihre verschiedenen Projekte, Prozess und Produkte ihrer wissenschaftlichen, literarischen oder künstlerischen Tätigkeit vor- und zur Diskussion zu stellen. Dabei sollen, zum einen, Strategien entwickelt und erprobt werden, das Netz als Medium transdisziplinärer Forschung zu nutzen. Zum anderen wird sich hier aber auch die Frage stellen, inwiefern, wo und in welchem Sinn mit “Schreiben” zu tun hat, was „am Netz“ gemacht wird. Was heisst „schreiben“, wer schreibt wo am Netz, was ist sichtbar, was nicht? Aber auch: welche Bedeutung kommt dem „Schreiben am Netz“ für die Literatur zu, respektive worin besteht diese im „digitalen Zeitalter“?

In der  Chronik, schliesslich, wird Walter Grond online über seinen Aufenthalt als literarischer Gast des Collegium Helveticum berichten, aus seiner Sicht vom Schreiben am Netz erzählen und Eindrücke und Beobachtungen aus dem Salon vermitteln. Seine Aufgabe als Chronist wird es somit sein, einen erzählerischen Zugang zum Projekt zu eröffnen und derart über ein Fenster der NZZ das öffentliche Interesse für dessen Verlauf und Ergebnisse zu wecken.

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Was sich von März bis Mai in und zwischen diesen drei Diskursräumen abspielen wird, ist zugleich Basis, Material und Hintergrund für das Symposium „Schreiben am Netz“ im Juni 2002. Mit den direkt am Webprojekt Beteiligten und weiteren illustren Schreiber/innen will sich dieses in Vorträgen und Lesungen, face-to-face-Dialogen und Diskussionen mit den folgenden thematischen Schwerpunkten befassen:

- „Das ernüchterte Leben, das ernüchterte Schreiben“ (aktuelle Veränderungen des Schreibens im Kontext des Wandels seiner medialen Vorgaben; Fiktionalisierung/Virtualisierung von Wissenschaft und Alltag)

- „Die Kunst des Verschlüsselns und das Geschäft des Veröffentlichens“ (Vergleiche zwischen kommunikationstechnischen und literarischen Codierungsverfahren; Inszenierungen von Privatheit und Oeffentlichkeit, Rückzug und Kontaktnahme)

- „Die globalisierte Kulturmatrix: Kriegsspiele und Dialoge“ (Kontrolle und Kolonialisierung vs. Subversion herkömmlicher territorialer Aufteilungen und Hegemonieansprüche in Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik; Gegenwartsliteratur als/und Medienkritik).

 

Johannes Fehr ist der Programmbeauftragte für Kunst und Literatur am Collegium Helveticum                   download