laufende Akte [house]
über die fremde und die peripherie
Friedrich Achleitner

Das europäische Haus (Teil 2)
Traum oder Alptraum?

Regionales Bauen, Regionalromantik, Regionalismus

Es bedurfte der Industriellen Revolution, des expandierenden Liberalismus, der Besetzung des Landes durch städtische Produktions- und Lebensformen, daß sich, gewissermaßen aus einer kulturellen Defensive heraus, die Heimatschutzarchitektur entwickeln konnte. Es wurde, parallel zur Dialektforschung, die heile Welt ländlichen, bäuerlichen und kleinbürgerlichen, jedenfalls handwerklichen Bauens entdeckt, wieder ein paradiesischer Zustand, den man erst registrierte, als er verschwunden war. Das war das regionale Bauen, mit seinen Eigentümlichkeiten, seiner Behäbigkeit und auch Selbstzufriedenheit, mit seinen Regeln und unreflektierten Ordnungen, mit seinen materialen Beschränkungen und den eingeübten Lebensformen. Hier war die Typenvielfalt die natürliche Norm, jedes Tal, jeder Landstrich, jede Miniaturherrschaft hatte Eigenes vorzuweisen. Angesichts der drohenden neuen Systeme, die in die unbekannte Welt hinauswiesen - so ein mechanischer Webstuhl und die Halle, in der er stand, wies von Vorarlberg direkt nach England -, mußte die traute Welt heimatlichen Bauens noch trauter wirken. Kein Wunder also, daß gegen die Überfremdung sich Kräfte mobilisierten, also diese Heimat geschützt werden mußte.
Falsch. So war es ganz sicher nicht. Nicht der Bauer, der Ansässige wehrte sich gegen diese Entwicklungen; sie brachten oder versprachen ihm immerhin eine Verbesserung seiner Lage, nein, der Städter, der die Idyllen der Armut als Fluchträume für seine Regeneration zu entdecken begann, dem das Land die "Sommerfrische" gewährte, der entdeckte plötzlich diese Veränderungen.
Die Rettung des Landes, der Heimat war also eine Erfindung der Städter. Nur der Städter hatte die Distanz und die Vergleichsmaßstäbe, die Kultur und das Bauen auf dem Lande als eine Einheit wahrzunehmen, was immer das war. Ich darf Sie daran erinnern, daß es in manchen alpinen Gegenden bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts dauerte, bis sich die Bauern, durch die harte Droge der Heimatfilme, dazu überreden ließen, ihre Arbeitswelt schön oder gar erhaltenswürdig zu finden. In Wirklichkeit ist es heute noch so, daß der Bauer weiß, daß es Leute gibt, die diese Welt für wenige Wochen im Jahr als begehrenswert empfinden, und er erhält diese Werte nur soweit, als sie in den Mechanismen des Tourismus verwertbar sind. Und hier sind wir an einer Wurzel des Regionalismus angelangt.
Ich möchte im Zusammenhang mit dieser Problematik auf der Unterscheidung von regionalem Bauen und Regionalismus beharren. Das regionale Bauen ist eingebettet in die realen Bedingungen einer Region, ist unmittelbarer und unreflektierter Spiegel einer konkreten Lebenswelt; es ist weniger abgeschlossen als man vermuten würde, es vermag auf die Vorgänge in der Welt und auf die Zeit zu reagieren und es ist, außer mit großer historischer Distanz betrachtet, nie rein.
Und es gibt den Regionalismus, der die vermeintlichen baulichen Merkmale einer Region zum architektonischen Thema macht oder zur Formel entwertet. Der Regionalismus ist ein Phänomen des Historizismus, er signalisiert die Verfügbarkeit über die bauliche Formenwelt einer Region, er ist ein Mittel der Einkleidung, er ist die Lederhose, die der Notar am Wochenende an seinem Zweitwohnsitz anzieht. Ich muß nicht erwähnen, daß dieses Verhalten im Spannungsfeld von blinder Liebe und fataler Respektlosigkeit angesiedelt ist.

Ein Paradebeispiel für Regionalismus scheint mir Bayern in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts geliefert zu haben, wo im Glanz und Schatten der Wittelsbacher, kräftig unterstützt von der süddeutschen Heimatschutzbewegung, ein bayrischer Regionalstil entwickelt wurde, der ebenso bäuerlich-alpine wie bürgerlich-barocke Elemente verwendete. Welche Rolle diese Entwicklung in der Konkurrenz der deutschen Stämme im Reich Bismarcks spielte, vermag ich nicht zu beurteilen. König Max II. hatte sogar noch Höheres im Sinne: in einem Brief an Theophil Hansen fragte er diesen, was er von der Schaffung eines Nationalstiles hielte.

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[Textauszug! Volltext hier als rtf-File downloadbar.]

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