laufende Akte [house]
über die fremde und die peripherie
Friedrich Achleitner

Ausländer rein

In der Architektur kannte man bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts die Polarität von national und international überhaupt nicht. Sie war eine an Inhalten, Methoden und Moden orientierte Größe, die in den Relationen kultureller Machtdarstellung und Einflußsphären ihre unterschiedlichen Modelle entwickelte: die französischen Bauhütten haben bis Ungarn hinein gewirkt, die Italiener gaben über Jahrhunderte hinweg in Mitteleuropa den Ton an, und noch die führenden Architekten der Wiener Ringstraße waren Deutsche, Dänen und ein paar Öster-reicher aus Budapest.

Mit den nationalromantischen Bewegungen (von Finnland bis Katalonien) und den re-gionalistischen Tendenzen im Schoße der Heimatschutzbewegung wurde jedoch nicht nur eine Beurteilungsskala von "landschaftlichen und stammesmäßigen" Merkmalen entwickelt, die die Region als eine Qualität an sich entdeckten, sondern auch das Konstrukt von National-architekturen erfunden, deren Kenntnis vor allem den Kunsthistorikern vorbehalten blieb. Da Nationalstile nicht nur konstatiert, sondern gleich auch entworfen wurden, mußte sehr schnell der Eindruck entstehen, es handle sich um das Selbstverständlichste der Welt, und es war der Naivität oder der Gleichgültigkeit der Moderne vorbehalten, gegensteuernd, für die Architek-tur das zu beanspruchen, was sie eigentlich immer hatte: eine internationale Bezugsebene mit wechselnden Zentren oder einen autonomen kulturellen Spielraum zwischen den Ländern.

Heute, da jeder oberitalienische oder kalifornische Huster dank Satelliten doppelt so stark in Japan gehört werden kann, ist es umso erstaunlicher, daß die Sehnsucht nach nationa-len oder regionalen Architekturen nicht nur existiert, sondern anscheinend vitaler ist als eh und je. Der selbsternannte Psychologe (in der Gestalt eines Architekturschreibers) sagt natür-lich, gerade deshalb, weil jede Information überall präsent und zugänglich ist, entsteht das Bedürfnis nach behüteten und scheinbar geschützten Bereichen lokalen und regionalen Bauens - nach einer Qualität in der Maske der Vielfalt und der Unterscheidbarkeit -, die ja auch wiederum, wenn die Gäste kommen, zu Buche schlägt. So war der Regionalismus von Anfang an ein internationales Phänomen und diese Tendenz, soweit man sie so benennen kann, macht nicht Regionen unterscheidbarer, sondern stellt eher ihren gemeinsamen Konflikt mit der "Überfremdung" dar, der wieder überall zu ähnlichen Formen und Erscheinungen führt. Man könnte dieses Verwirrspiel noch weiter treiben, nur müßten wir dann über das Marktverhalten verbreiteter Formklischees diskutieren. Verzweifelt an diesem Thema, habe ich einmal versucht, zwischen Regionalismus und regionalem Bauen zu unterscheiden, wobei das regionale Bauen die selbstverständliche, ungewollte Widerspiegelung regionaler Kultur (gibt es die noch?), jedenfalls charakteristischer, beschreibbarer Verhältnisse wäre und der Regionalismus die artifizielle, absichtsgeschwängerte Reflexion dieser Probleme. Regionalis-mus wäre demnach eine zu spät gekommene Reaktion auf etwas Verschwindendes (das im paradiesischen Zustand regionalen Bauens ja nicht erkannt werden kann), der Versuch, regio-nale Werte in "Baukunst" zu transformieren, was von vornherein Distanz, also die Sehweise einer Großstadtkultur voraussetzt.

Trotz allem, das Bauen findet heute immer noch im Spannungsfeld von lokalen, regio-nalen Möglichkeiten und überregionalen Gedanken, Maßstäben und Kriterien statt. Der Ein-fluß einzelner Köpfe ist größer denn je, der Verschleiß jeder Erfindung schneller und radika-ler als in früheren Tagen. Der Wahn, den "großen Meister" überall in natura haben zu wollen, ob als Verkünder seiner Botschaft oder als Autor eines Bauwerks, beschleunigt seine Ver-nichtung, die Duftmarken werden immer dünner, bis sie von lokalen Gerüchen zugedeckt werden. Es kann also nicht darum gehen, daß jede Bezirkshauptstadt ihren Meisterbau aus dritter Hand bekommt. Wenn Architektur, abgekoppelt von den PR-Strategien der Städte, noch eine Funktion hat, dann geht es ja um komplexere kulturelle Anliegen und nicht nur um Vorzeige- und Alibibauten.

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[Textauszug! Volltext hier als rtf-File downloadbar.]

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