laufende Akte [house]
über die fremde und die peripherie
Friedrich Achleitner

Aufbrüche - Umbrüche - Abbrüche
(Österreichische Architektur zwischen Irritation und Resignation)

Die sogenannte Zwischenkriegszeit hat alle Merkmale einer Abbruchs-, Umbruchs- und Aufbruchszeit, wobei die Architekturgeschichtsschreibung bisher eher die Linien des Aufbruchs beobachtet hat. Meines Wissens hat sich bisher noch niemand die Mühe gemacht, den statistischen Anteil der Avantgardebauten am allgemeinen Baugeschehen festzustellen, wobei man wieder zwischen dem tatsächlichen Bauen und der publizistischen Rezeption unterscheiden müßte. Ich weiß schon, daß solche Vergleiche nur Teile einer allgemeinen Bewertung sein können, da schließlich originale Werke einen anderen Stellenwert einnehmen, als mehr oder weniger gute oder schlechte Variationen und Wiederholungen eingebürgerter "Stile".

Trotzdem wurden die sogenannten Entwicklungslinien der Moderne in unser Bewußt-sein so eingraviert, daß wir es sehr schwer haben, uns ein einigermaßen ausgewogenes Bild der zwanziger und dreißiger Jahre zu machen. Denn es ging sicher nicht nur um einen Kampf der Schulen innerhalb eines scheinbar autonomen Mediums, sondern um eine äußerst komplizierte Entwicklung, in der einmal die Liberalen und Linken, und zum Schluß die Konservativen und Rechten Oberhand gewannen. Um diese Entwicklung einigermaßen darstellen zu können, müßte man in Österreich etwa folgende Faktoren bedenken:

Politisch und ökonomisch war die kulturelle Situation die eines an sich selbst zweifelnden Reststaates, dem allgemein die Existenzchancen abgesprochen wurden und der einerseits sein Heil in einem Anschluß an Großdeutschland suchte, andererseits aber bestrebt war, eine neue Identität in seiner kulturellen Vergangenheit zu finden. Die Architektur spielte in dieser Schaffung einer neuen Identität (im Verein mit Tourismus und Ästhetisierung der Landschaft) eine besondere Rolle. Sie nahm aber auch teil an der kulturellen Positionierung der politischen Kräfte, obwohl die Anschaulichkeit und Ablesbarkeit nicht nur unter der sprachlichen Unschärfe der architektonischen Mittel litt, sondern auch an den sprichwörtlich ambivalenten Haltungen der Wiener (und österreichischen) Architekten, die ja dem zweiten Schub der Moderne - nach dem Ersten Weltkrieg - nicht mehr ganz naiv und vorbehaltlos optimistisch gegenüberstanden. Schließlich war für sie der erste Aufbruch der Moderne mit dem Zerfall des Großreiches, dem Untergang der Donaumonarchie und der Katastrophe des Ersten Weltkriegs verbunden.

Während die äußeren Bedingungen für die Architektur leicht zu analysieren wären, bleiben ihre inneren ebenso sperrig wie ausufernd. Man darf auch nicht vergessen, daß die Generation, die in den zwanziger Jahren am Bauen bleibt und auch zum Bauen kommt, aus-schließlich in den Architekturschulen des Historismus ausgebildet wurde, zu denen trotz geringer zeitlicher Distanz - aber über einen Weltkrieg hinweg - auch die Otto-Wagner-Schule gehörte. Historismus bedeutet im Prinzip Verfügbarkeit über und bewußtes Einsetzen von sprachlichen Mitteln oder auch Adaption architektonischer Formen. In diesem Spektrum nimmt die absolute Deckung von Form und Inhalt - also die Sprache der Avantgarde - einen ganz kleinen Platz ein. Außerdem erweist sich gerade deshalb die Architektur der Avantgarde als besonders anfällig, da mit einer Kritik der Inhalte auch ihre Formen in Frage gestellt oder zerstört werden (dieses Phänomen kann man ja bei den Bauten Lois Welzenbachers gut studieren).

Einen Teil dieser Problematik stellen die herrschenden oder in Entstehung begriffenen Architekturschulen dar und die damit verknüpften Architektenbiographien, wobei es vorkom-men konnte, daß Schulfreundschaften, auch Arbeitsgemeinschaften sehr unterschiedliche, ja politisch und architektonisch kontroverse Haltungen überbrücken konnten. Außerdem ist es sicher falsch, wenn man die ideologischen oder auch ästhetischen Lager als homogen betrachtet. Gerade in minimalen Distanzen oder deklarierten Unterscheidungen drückten sich oft tiefe weltanschauliche Gräben aus, die, zumindest in ihrer Zeit, als unüberbrückbar schienen. Und bisher habe ich noch gar nicht die sogenannten Zeitgeistphänomene ins Spiel gebracht, die oft sehr merkwürdige Allianzen und Feindschaften provozierten. Ich möchte anhand konkreter Beispiele die Untiefen dieser Problematik vorführen. Sollte sich daraus unerwarteter Weise zum Schluß doch so etwas wie ein Überblick ergeben, soll es mir recht sein. Die Beispiele sind streng chronologisch geordnet, dadurch werden die Spannungen, Konflikte, Brüche und die einander ausschließenden Gleichzeitigkeiten noch deutlicher.

 

1 Clemens Holzmeister, Isonzodenkmal, 1917

Dieser Denkmalentwurf scheint (über den Monumentalarchitekten Wilhelm Kreis) eine direkte Beziehung zum wilhelminischen Denkmalkult herzustellen. Holzmeister war zu dieser Zeit Assistent bei Carl König, einem exponierten, loyalen und gebildeten Vertreter einer restaurativen Assimilationsarchitektur, womit ich vorläufig nur auf ein besonderes, bis heute unbear-beitetes Problem des Wiener Späthistorismus hinweisen möchte. Dieser Monumentalismus der reinen Formen und der nackten Volumen hatte aber seinen Ursprung in der Diskussion um die Renovierung der deutschen Kaiserdome, war also innerhalb der Historismusdebatte positiv besetzt, galt als modern.

[...]

[Textauszug! Volltext hier als rtf-File downloadbar.]

Kontakt

core | reset | house | kontakt