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Friedrich
Achleitner Aufstand der
Provinz? Ich hatte ursprünglich vor, in den Versuch, ein Relief der österreichischen Architekturland-schaft der Zwischenkriegszeit zu entwerfen, auch Wien mit einzubeziehen, denn auch hier fand eine Art von Aufstand der Provinz statt, im positiven und negativen Sinne des Begriffes. Ich behaupte, daß das kaiserliche Wien, das nach 1918 seine Legitimation und seine Maß-stäbe als Großstadt und Metropole verloren hatte, ähnlich wie die Bundesländer seine lokalen und regionalen Qualitäten zu entdecken begann und, nachdem es de facto politisch zu einem Bundesland geworden war, auch das "Wienerische" zum Gegenstand architektonischer Aus- einandersetzung machte. So spiegelte der "Wiener Realismus" des kommunalen Wohnbaus nicht nur das politische, kulturelle, ökonomische und soziale Programm einer fortschrittlichen Kommunalverwaltung wider (mit den eingebauten Sicherungen einer überwiegend konserva-tiven Beamtenschaft), also nicht nur die Perspektiven einer erwachenden Arbeiterkultur, sondern auch das Trümmerfeld zerschlagener, orientierungslos gewordener Architektur-schulen und die widersprüchliche Vielfalt einer sie repräsentierenden Architektenschaft. Welches Adjektiv man auch erfinden mag, es handelt sich bei der Architektur des Wiener Gemeinebaus tatsächlich um einen Realismus, der vielleicht sogar Vorbedingungen für einen sozialistischen schuf (was ein eigenes Thema wäre), der jedenfalls eine kulturelle Realität widerzuspiegeln vermochte, mit ihrem ganzen bürgerlichen Traditionalismus und ihrer Verspanntheit zwischen expressivem Pathos und gediegener Sachlichkeit. Wenn also im Bauen etwas Zeitgeist vermittelt, dann ist es dieser kommunale Wohnbau. Wien hatte um 1918 nicht nur eine Moderne hinter sich, sondern auch eine Art von "Postmoderne", wenn man darunter einen besonderen Umgang mit architektonischen Sprachen, den Sinn für Mehr-sprachigkeit, Doppelkodierung, ja überhaupt den Pluralismus der späten Donaumonarchie versteht. Man kann die Wiener Architektur der Zwischenkriegszeit nicht ablösen von jener der Spätmonarchie, wurden doch die meisten der Architekten noch in ihr ausgebildet oder haben sogar noch wesentlich an ihrem Baugeschehen teilgenommen. Sieht man sich die Schultradi-tion an, so führt an der Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz eine Linie der "Klassiker" über Theophil von Hansen, Karl Hasenauer, Otto Wagner zu Peter Behrens, der als schillernde Architektenfigur mit seiner inhaltlichen und stilistischen Bandbreite für Wien geradezu eine idealtypische Disposition mitbrachte. Dieser Schule standen die "Gotiker" oder "Romantiker" gegenüber, deren Linie über Friedrich von Schmidt, Viktor Luntz, Friedrich Ohmann zu Clemens Holzmeister führte. Flankiert vom Traditionalismus der Technischen Hochschule (repräsentiert etwa durch die Schule Carl Königs) und den "Modernen" der k.k. Kunstgewerbeschule am Stubenring (Heinrich Tessenow, Josef Hoffmann, Oskar Strnad, Josef Frank) ergab sich allein aus dieser Situation der Architekturausbildung eine Neuauflage des Pluralismus der Spätgründerzeit. Ein Thema dieser Skizze ist die Frage nach der Beziehung von Politik und Ästhetik, von politischen Inhalten und architektonischen Formen. Schon der Wiener Historismus kann einen hier entmutigen: Die Schulen der Neorenaissance, der Neugotik, des Altdeutschen Stils oder der Nationalromantik, des Neobarocks (Mariatheresianischer Stil), des Neobieder-meiers, der Moderne und der Secession erlauben nur bedingt politische Zuweisungen oder Affinitäten. So bedienten sich etwa des gotischen Bezugsrahmens genauso die Kirche, der Klerus, das Kaiserhaus, wie das konservative und liberale oder großdeutsche Bürgertum. Die Neorenaissance deckte das breite Spektrum einer staatlichen wie bürgerlichen Repräsenta-tionsarchitektur von Verwaltung, Kultur und Bildung. Der Altdeutsche Stil ist in einem ge-wissen bürgerlichen Rahmen festlegbar, der Neobarock betrifft genauso spätmonarchistische Selbstdarstellung wie private Kaisertreue. Noch schwieriger wird es bei den durchwegs herrschenden Mischungen, die meist relativ oberflächlich oder unreflektiert den Bedürfnissen der Unterscheidung oder der subjektiven Profilierung dienten. So kann man verkürzt anneh-men, daß die Mitteilung oder die semantische Dimension der Wiener Architektur auf einer re-lativen Begrifflichkeit und Differenzierung beruhte. So gesehen war Otto Wagners Konzept der "Moderne" der letzte Versuch einer Objektivierung der architektonischen Sprache jenseits des historischen Gemischs, also gewissermaßen der Entwurf einer Hochsprache, indem er als Grundlage eben nicht die unmittelbare kulturelle Tradition, sondern das "moderne Leben" forderte. Wie wenig sich seine Forderungen erfüllt haben, beweisen gerade seine Schüler in den zwanziger Jahren. Diese kurze Einleitung zeigt, wie verwirrend die Situation in Wien tatsächlich war. Dieses Thema bleibt hier ausgeschlossen. Wien spielt aber insofern eine Rolle, als es für die Bundesländer ein fester Bezugspunkt bleibt und auch viele Wiener Architekten (etwa Otto-Wagner-Schüler) das Baugeschehen in der "Provinz" stark beeinflussen. Der Prozeß der politischen und kulturellen Loslösung von Wien hat sich nicht nur in den sogenannten Nachfolgestaaten der Monarchie, sondern auch in den einzelnen Bundes-ländern fortgesetzt. Sieht man einmal von den geographischen Distanzen und den historisch gewachsenen und zu Klischees erstarrten Beziehungen zu Wien ab, so entstand nach dem Ersten Weltkrieg zusätzlich ein politischer Graben, der das "Rote Wien" von der schwarzen oder schwarz-libe-ralen Provinz trennte. Es gehört übrigens zur Ironie der Geschichte, daß nach dem Zweiten Weltkrieg durch die französischen, amerikanischen, englischen und russischen Besatzungs-mächte die regionalen Entwicklungen gefördert und die alte Rot-Schwarz-Distanz von einer Ost-West-Teilung noch verstärkt wurde. Ich möchte das Thema also regional abhandeln, indem ich Tirol und Vorarlberg, Oberösterreich und Salzburg sowie Kärnten und Steiermark getrennt bespreche. Man kann vorwegnehmen, daß sich in diesen Regionen unter verschiedenen Bedingungen die Polaritä-ten von Fortschrittlichkeit und Konservativismus, von internationalen Bewegungen und Heimatschutz, von Expressionismus und Sachlichkeit und nicht zuletzt von linken und rechten Tendenzen aufgebaut haben, wobei sich nicht nur die Grenzen und Konturen ver-wischten, sondern auch die Inhalte und ihre Darstellungen. Wenn der Begriff "Fortschritt" noch verwendet wird, so kann er nur im Sinne des Selbstverständnisses fortschrittlicher Ten-denzen verwendet werden, was allerdings nicht garantiert, daß künstlerischer und politischer Fortschritt gleichzeitig auftreten. Ich möchte die Probleme und Konflikte an einem bekannten und polaren Architekten-paar veranschaulichen, an Lois Welzenbacher und Clemens Holzmeister. Ihre auf regionalem Boden unvereinbaren Ansätze haben für viele Bundesländer als Initialzündung gewirkt, ja deren weitere Entwicklung geprägt. [...] Welzenbachers Bauten stellten also jede Konvention grundsätzlich in Frage, und sie waren auch nicht im kulturellen Kontext von Tirol, Salzburg oder Bayern interpretierbar. Sie blieben eine Herausforderung, ja sie wurden als Bedrohungen, als Verschandelungen empfunden, sie störten die Harmonie eines aufkeimenden alpinen Selbstverständnisses und mußten auch prompt dafür büßen.Während Welzenbachers Bauten fast alle ausgerottet sind, blieben die rund 400 Objekte Holzmeisters fast unversehrt. Natürlich sind Welzenbachers Entwürfe nicht frei von naivem Zeitgeist, von unreflektiertem Fortschrittsglauben. Dynamik war ein Symbol für Zukunft und Freiheit, der Umgang mit Luft, Sonne und Wasser ein Zei-chen eines neuen Lebensgefühls. Dynamische Konzepte werden a priori als systemgefährdend empfunden, statische als konsolidierend. Welzenbachers Skizzen wirken oft wie Verfolgungs-jagden von Gedanken, jene Holzmeisters hingegen wie bestätigte, ja inszenierte und verklärte Wirklichkeit. Ich möchte jetzt einfach behaupten, daß in diesen beiden Architekten sich zwei polare kulturelle Grundmuster gegenüberstehen, die die europäische Kultur geprägt haben. Es ist dies eine zeit- und fortschritssorientierte Kultur, wobei der Begriff der Zeit auch im Beharren, im Stillstand, ja im Rückgriff bestimmte Inhalte auszudrücken vermag. Seit der Renaissance ist es möglich (sagen wir, deklariert möglich), Rückgriffe auf die Antike oder später auf das Mittelalter als Symbole gesellschaftlichen oder politischen Fortschritts zu sehen, wie wäre es sonst möglich, etwa den Staffettenlauf der Klassizismen zu erklären. Hier würde sich ein neues Thema, das der Avantgarden, der Problematik von Gleich- und Ungleichzeitigkeiten er-öffnen. Ich möchte aber zur architektonischen Realität der Bundesländer zurückkehren. Sie werden mit mir vielleicht einig sein, daß die regionalen Probleme dieser Länder, die der kul-turellen Selbstfindung und Selbstbestimmung, das Entdecken einer eigenen Identität auf dem deduktiven, transformatorischen, ja pluralistischen Weg eines Clemens Holzmeister leichter zu lösen oder darzustellen waren als nach dem "Prinzip Welzenbacher", das die avantgardisti-sche Position (mit vielen Einschränkungen) vertritt. Holzmeisters "Romantischer Realismus" hat durch seine historische Dimension, durch die Vielfalt der herstellbaren Bezüge, durch die Kompatibilität seiner Inhalte auch jene Struktur, die realpolitische Liaisons einzugehen ver-mag, mit jenen Wackelkontakten der Ambivalenz im konservativen Lager, die vom katho-lisch-vaterländischen bis zum deutschnationalen und nationalsozialistischen reichen. Eine Beschreibung der Architektur in den Bundesländern betrifft im wesentlichen die Vielfalt dieser konservativen Muster, oft eingebettet in eine Heimatschutzbewegung, oft über-raschend erfindungsreich und auch fortschrittsgläubig. In diesem großen Feld stehen dann ganz wenige, einzelne Figuren, die so etwas wie eine avantgardistische Position aufzubauen versuchten und damit automatisch auch in eine gesellschaftskritische, das heißt in diesem Kontext fast ausschließlich linke Position gestellt wurden. |
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