local task 2003 - net art | die verschwundene galerie |
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Die Kunstgeherin Elisabeth List |
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Leben, eine Kunst Dies ist der Kommentar zu einer Performance, die abläuft, die ich vorführe, wenn ich vom Rollstuhl aufstehe und zu gehen versuche. Es ist die Geschichte davon, wie ich eine Kunstgeherin wurde. Lange glaubte ich, ich gehe wie alle anderen Leute auch, frisch und munter drauflos, ohne dabei was zu denken. Aber eines Tages änderte sich etwas. Die Steine, die so auf den Wegen zu liegen pflegen, wurden mir zu Steinen des Anstoßes, zum Anlass zu stürzen. Um nicht über sie zu stolpern, mußte ich damit beginnen, ganz bewußt über sie hinwegsteigen. Der Flüssigkeit des Schrittes wegen habe ich begonnen, mit kleinen Bewegungen nach oben allfällige Hindernisse hinter mir zu lassen. Diese kleinen Bewegungen machten aus meinem Gehen ein Tänzeln, ein leicht schwankendes Hin und Her, wie man es von den Rhythmen und Bewegungen eines Samba kennt. Einige Jahre bin ich so meiner Wege getänzelt. Solange, bis mich das Schwanken und Pendeln bis weit über die Fallinie hinausbrachte. Da waren für mich andere Dinge als Steine von Bedeutung: Von den Steinen des Anstoßes zu den Hölzern des Anhalts gewissermaßen – neue Anhaltspunkte für meine Wege überall hin. Ich gehe und gehe immer noch, meine Gehen wird zu einem seltsamen Tanz und führt mich näher heran an die wahre Kunst der Bewegung, der reinen Bewegung als Essenz aller Ortsveränderung im Raum. Ein sehr vorsichtiges Tasten über den Boden hin, die Stiegen hinauf und hinunter. Mein Gang, mein Tanz entschleunigen sich und gibt dem Gewahrwerden einer neuen Langsamkeit Raum Aber Gewahrwerden wovon? Immer mehr zeigt sich, daß jede noch so kleine Bewegung Leben ist, das Leben selbst, in dem ich mich finde und wiederfinde. Das zu begreifen heißt
verstehen, was die Kunst des Tanzes ausmacht. In jedem Augenblick seiner Bewegungen seiner
Arme, einer Beine und seines ganzen Körpers gibt der Tänzer dem Leben in seinen Nuancen
und Formen Ausdruck: Das Strecken seiner Beine, das Gleiten der Arme, das Beugen des
Rumpfes all das sind Episoden, Gesten, Momente lebendigen Daseins, eingefangen und
losgelassen zugleich. Und wer geht, wie man so drauflosgeht, bewegt sich nicht wirklich,
denn seine Seele ist bewegungslos, weil er seine Bewegung nicht lebt, nicht erlebt. Und
die, die nicht mehr so gehen, leichthin und gedankenlos gehen, sind dabei zu lernen, von
neuem zu lernen was es heißt, sich zu bewegen, sich bewußt in Bewegung und ins Leben zu
setzen. Sie sind dabei, eine Kunst zu üben und zu lernen. The art of walking. Es gibt viele Künste. Die Kunst hat es an sich, dass sie aus allem, was ihr begegnet, ein Objekt, ein Ereignis der Kunst macht, ein Ereignis und Objekt der Kreation, der Kreation von Neuem. Der Tanz ist eine der vielen Künste, Körperkunst. Pantomime ist Kunst, Akrobatik. Tausend Nuancen des Ausdrucks für Wahrnehmung, für Sentimente, Wünsche, Ängste, Hilferufe, Botschaft für die Beschauerinnen. Und da gibt es dann die besonderen Künste, die nicht so sind wie die anderen. Körperkünste mit Körpern, die anders sind wie die anderen. Es sind Körper, die dressiert werden, kontrolliert, assistiert, therapiert. Denn sie sollen nicht anders sein als die anderen, sondern der Norm genügen. Das ist eine Weise, sie nicht zu sehen, wie sie sind, sie nicht wahrzunehmen in ihrem Besonderssein. Vor allem, es bleibt unbegriffen, dass sie ein Medium sind, ein Medium der Darstellung, der Kommunikation, der Kreation von neuen Formen, Gestalten. Es kommt deshalb ganz darauf an, ihnen die Freiheit zu lassen, die Freiheit zu tun, was in ihren besonderen Möglichkeiten liegt. Dann werden sie vieles tun, seltsame Dinge, ja, auch das Normale. Sie werden aber vor allem ihre Besonderheiten entdecken. Sie werden nicht nur sich selbst zur Kunstform machen, sie werden auch der Welt, in der sie leben, eine neue Form geben. Dort, wo ich lebe, verschieben sich die Regale, und soweit ich es vermag, verschwinden Stufen und Treppen. Um mich herum entsteht ein neuer Raum, eine Raumwelt der fließenden stufenlosen Übergänge – eine Traumwelt zumindest. Bewegungsbeschränkungen erzeugen neue Formen und Räume der Bewegung, so wie in der Welt der Sichtbehinderten neue Tasträume entstehen, in der Welt der gehörlosen neue Sehwelten, Zeichenwelten. All das entsteht, wenn die herrschende Normalität es zuläßt. Es müsste etwas geschehen gegen die Dominanz der Norm. Die Kunst des Gehens, die Tastkunst und die Lesekunst der Gebärden sollten in aller Form in das Konzert der Künste aufgenommen werden. (Dieses Statement ist Teil eines
Vortrages, gehalten im Rahmen von |
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