freitag, der 1.
jänner 2010, part #5
Posted on Januar 8th, 2010
der krusche
ich hab im vorigen part einen kulturellen code erwähnt, der sichtbar, auffindbar
ist, in dem alle vier genres [link] ihren ausdruck finden.
das, genau DAS, interessiert und beschäftigt mich im zusammenhang mit der frage nach
einer REGIONALEN KULTURPOLITIK, also einer kulturpolitik, die nicht bloß einzelne
ortschaften und gemeinden meint, sondern größere räume, regionen.
dabei spielt MENTALITÄTSGESCHICHTE eine kraftvolle rolle. plausible
geschichtsschreibung betont etwa, daß in deutschland der dreißigjährige krieg und in
österreich diverse feldzüge des osmanen nach wie vor in unseren mentalitäten
nachzuweisen seien.
in serbien ist der sezessionskrieg noch enorm präsent; in den herzen der menschen und
in den bauten, infrastrukturen. das militärische hauptquartier des slobodan milosevic in
beograd ist von der nato bombardiert worden und blieb so erhalten. diese bilder und ihre
ursachen überlagern außerdem vieles aus dem zweiten weltkrieg, das seinerseits wie ein
layer auf motiven des great war, der ersten weltkrieges liegt.
kurz vor dessen ausbruch fand ferner der letzte balkankrieg statt, durch
den die osmanen aus der europäischen türkei, also vom balkan, verdrängt
wurden, was damals einen ungeheuren schub von begehrlichkeiten unter westeuropäischen
mächten ausgelöst hat.
in der etwas ferneren fruska gora zeigt dieser sendeturm spuren des nato-bombardements.
die wunden, die traumata, die schuld, die verantwortung. ich erwähne das nicht nur, weil
ich in vorigen einträgen schon meinen individuellen fokus auf fragen der zeitgeschichte
betont habe.
es würde heute ganz generell bei uns in weiten bereichen der gegenwartskunst als
unzeitgemäß beurteilt werden, falls jemand solche zusammenhänge völlig ignorierte. das
muß sich nicht zwingend auf offensichtliche art im werk zeigen. aber kenntnis davon,
wahrnehmung dessen, ein wissen um zusammenhänge ist auf jeden fall unter meinen
leuten obligat.
ich hatte nachts an jenem ersten jänner 2001 in der küche ein großformatiges bild im
rücken, das zu einer komplexen installation von dzafo gehört. das foro zeigt quasi ein
doppelfeature dzafos. das scheren eines kopfes ist gewöhnlich ein akt der
depersonalisierung bzw. der demütigung. der gscherte, also der
geschorene, entweder als elite-soldat oder als häftling, als hooligan oder als verlauster
insasse. solche stereotypen sind das.
in einer kunstzeitschrift sieht man, wie diese arbeit von dzafo angelegt ist, in der er
sehr viel an menschenhaar verarbeitet hat. zurück zum allgemeineren. ein aktueller
kultureller code, also ein in der region gerade präsentes zeichensystem ist ja ausdruck
der kollektiven lebenssituation und der dabei wirksamen vorgeschichten.
das bedeutet meiner ansicht nach, alle vier genres (alltagskultur,
voluntary arts, kunsthandwerk und gegenwartskunst) sind in diesem codesystem geborgen und
JEDES der genres liefert beiträge, den kulturellen code zu adaptieren, zu verändern, zu
erneuern.
wir haben in der kunst zwar sehr elaborierte und avancierte mittel das zu tun, aber es
wäre arroganter unfug anzunehmen, dieses arbeitsfeld (kunst) stünde a priori ÜBER den
anderen drei.
das wäre für sich eine unakzeptable position, das würde aber auch regionale
kulturarbeit blockieren und jene entwicklungen verhindern, die möglich sind, um letztlich
AUCH der gegenwartskunst zu einem höheren stellenwert in der region zu verhelfen. denn
ohne frage ist die situation der gegenwartskunst die schwächste von den vieren, wenn man
nach der konkreten PRÄSENZ der genres fragt.
darin liegt übrigens eine praktische verbindung meines regionalen engagements in der
oststeiermark mit optionen in der serbischen vojvodina. rasa doderovic, in exponierter
position für die matica srpska tätig, die bedeutendste bibliothek serbiens,
war für mich schon mehrfach ein wichtiger diskurspartner.
novi sad, der standort dieser bibliothek, ist in seiner größe mit graz vergleichbar.
doderovic meint, meine erfahrungen und arbeitzsansätze wären auch für seine leute von
interesse. umgekehrt interessiert mich, was wir an gemeinamen und an gegensätzlichen
aspekten feststellen können
[balkan
buro]