Log #9Wann immer Graz geblüht hat, in all den Jahrhunderten seines
Bestehens sind allerhand Blüten beschreibbar, wann immer sich das einlöste, spielte die
"Murvorstadt" westlich der Mur darin eine fundamentale Rolle. Weil DORT
Leistungen erbracht wurden, von denen man östlich der Mur abhängig war. Deren Strukturen
man dort aber nicht haben wollte.
Von den einquartierten Soldaten, die zum Schutze da
stationiert wurden bis zu den Fachkräften in Manufakturen und Industriebetrieben, von
Dienstboten für Wohlhabende bis zu Studenten in ihren bescheidenen Quartieren war die
Murvorstadt immer von "Zuzüglern" geprägt. Von Menschen aus anderen Kulturen.
[Hans Resel-Gasse]
Aus dem
Projekt-Protokoll vom 12.8.05:
"Andrea Redi: Laut der Studie 'Neupositionierung
der Annenstraße' sehen 88% der Geschäftsbetreiber und Anrainer den hohen
Ausländeranteil als Problem an."
Ein zu tiefst irritierender Umstand. Da die Blüte von Graz
ganz wesentlich aus dem Gedeihen der Murvorstadt hervorging. Die ohne
"Ausländer" niemals jene Leistungen hätte erbringen können, derer das
gesetzte Graz am östlichen Mur-Ufer bedurfte.
Cut!
Architekturprofessor
Grigor Doytschinov konstatierte bei diesem Meeting:
"Hausbesitzer verdienen am meisten, wenn alte
Wohnungen an Ausländer vergeben werden bis sie ganz heruntergekommen sind, erst
anschließend werden sie renoviert und dann zieht eine andere Schicht ein."
Stellt sich einmal mehr die FRage, ob in der Arbeit an
Problemlösungen die Dinge sein dürfen was sie sind.
Cut!
Zur Geschichte der Murvorstadt gehört auch jene der
Gasthäuser, Schenken, Leitgeben, Venushöhlen. Das Viertel war ja nicht nur Umschlagplatz
an wichtigen Handelsrouten. Es war eben auch Wohnort von Soldaten, Studenden, Dienstboten
und Arbeiterschaft aller Art.
Was demnach aber "echt" und was
"steirisch" sei, welcher "Kodex" sich daraus ableitet, hat sich mir
Steirer in dieser Gaststätte am Lendplatz, wo man vorzüglich ißt, noch nicht so recht
erschlossen. Das Spiel mit Identitäten ...
Dazu eine Passage aus der Korrespondenz mit dem "SPLITTERWERK":
"die suche nach der identitaet ist eine suche
nach einer fiktiven vergangenheit aus dem blickwinkel der fiktion der gegenwart, ausgehend
vom zeitbegriff, den wir 'jetzt' nennen. 'jetzt' allerdings -- und das ist vielleicht
ueberaschend -- liegt als sehr ungenaue zeitangabe immer eniges mehr in der zukunft als in
der vergangenheit und der gegenwart zusammen.
ein inakzeptabler zustand, der die findung von fiktiver
vergangenheit aus diesen rahmenbedingungen heraus unmoeglich macht, was dann wiederum
bedeutet, identitaet nicht suchen und damit noch weniger finden zu koennen.
da es aber unstreitbar identitaet gibt, kann sie demnach
nur besessen werden (ich habe einen namen), erfunden werden (ich gebe einen namen) oder
vor uns da gewesen sein (ein namen zu sein) -- eine vorstellung, die mir am angenehmsten
(ich schliesse hier bewusst "am warscheinlichsten" aus) ist."
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