Tief graben Kunstakzente in
Estland
By Martin Krusche
Europa, das ist auch heute noch eine so komplexe Geschichte wie vor 100 Jahren, da
Imperien zusammengebrochen sind. Das Osmanische Reich, Österreich-Ungarn, Deutschland,
Rußland ... die Konsequenzen dieser Ereignisse erschüttern Menschen und Nationen bis
heute.Wo die Politik, oft mit den Waffen des
Nationalismus, Menschen trennt und verletzt, mögen sich Landesgrenzen doch auch wieder
öffnen. Die Grenzen in den Köpfen bleiben aber zuweilen geschlossen. Es wirken alte
Ressentiments. Dieses Europa hat erhebliche Probleme, sich mit den slawischen und
moslemischen Anteilen seiner Identität zu einem ruhigen Selbstbewußtsein aufzuraffen.
Arroganz und Mißverstehen prägen das abgelaufene Jahrhundert. Aber auch die Gegenwart. |
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Welche Positionen mögen Künstler in diesem
Kontext als sinnvoll betrachten? Künstlerische Praxis ist nicht der Tagespolitik
gewidmet. Unabhängig davon finden es Kunstschaffende manchmal sehr naheliegend, mit ihren
Mitteln intensiv auf solche Zustände zu reagieren. Nicht unbedingt als konkrete
Intervention, viel mehr um die allgemeine Wahrnehmung und die öffentlichen Diskurse zu
stärken.
Vielleicht ein wenig im Sinne von Anton Tschechov, der
sinngemäß feststellte, er sei als Künstler nicht der Arzt, sondern der Schmerz. So
finden gelegentlich Künstler zusammen, die sehr persönliche Erfahrungen mit den eingangs
erwähnten Rissen und Brüchen haben ... über kulturelle und sprachliche Grenzen hinweg.
Um herauszuarbeiten, was das Verbindende ist, das Gemeinsame ... im Kontrast.
Der Kroate Vlado Franjevic ist diesen Sommer einer
Einladung nach Estland gefolgt. Franjevic wurde 1963 in Martinac (Kroatien) geboren, lebt
heute, nach mehrjährigem Aufenthalt in der Schweiz, im Fürstentum Liechtenstein.
Im estischen Mooste, nahe der russischen Grenze, sorgt ein
"Guest Studio (MOGS)" mit seinem "artist-in-residence program" für
künstlerische Akzente. Das internationale Kunstsymposium in der Reihe
"PostsovkhoZ" war heuer dem Thema "Isolation" gewidmet. Dabei
arbeiteten, kuratiert von Evelyn Müürsepp und John Grzinich 30 Kunstschaffende aus zehn
Ländern am Thema.
Einige Monate vor seiner Anreise hatte Franjevic eine Reihe
von Kunstschaffenden aus verschiedenen Nationen gebeten, Texte zum Thema einzubringen.
Diese Beiträge waren einerseits Grundlage für einen Teil der Aktivitäten in Mooste,
werden andrerseits für eine Buchveröffentlichung vorbereitet. Außerdem sind sie in das
webgestützte Kunstprojekt "The Junction" einbezogen.
So trägt Franjevic diese Arbeit in verschiedene
Medienbereiche, bringt sie außerdem in ein Wechselspiel zwischen virtuellen und realen
Räumen. Unter anderem in eine Verbindung mit dem themenbezogenen Symposium in Mooste. In
dem die alten Bindungen Europas mit den neuen Anforderungen auf dem Kontinent in Kontrast
gestellt wurden. Vor allem bezogen auf die Mediensituation und künstlerischer Praxis. Mit
Blicken zu anderen Territorien.
Da referierte etwa Marcus Williams aus Neuseeland über
"Art Politics in a Island State", wo Maarja Löhmus "Media and
culture" Estlands reflektierte. Oder Andres Kurg "Spatial separation, invisible
barriers, moral (b)orders" zur Debatte stellte.
Franjevic widmete sich den Überlegungen zu
"Liechtenstein big possibilities for a small state", um über die von ihm
gesammelten Textbeiträge bei diesem Symposium von der Ebene des Denkens auf eine
physische Ebene zu wechseln.
In einem Wald in Mooste, mit Blick auf den nahen See, grub
der Künstler einen 70 cm breiten Kanal, der sich in einer Spirale von fünf Metern
Durchmesser rund 1,70 Meter in die Tiefe windet. An der Oberfläche fügte Franjevic eine
ergänzende Installation aus Holzstäben, Schnüren und Kerzen hinzu. Das Werk ist im
Internet in "The Crossing" dokumentiert.
Diese Land Art-Arbeit war in der Folge Brennpunkt für
verschiedene Aktivitäten. Unter anderem las Marcus Williams einen Text von Jakob Kaplan,
einem gebürtigen Este aus Tel Aviv. Kaplan hatte sich schon zur ersten Phase des
Projektes gemeldet.
Daß Franjevic die Angelegenheit mit der Arbeit in Estland
nicht abgeschlossen hat, liegt nahe. Einerseits durch die Themenstellung, die einen
weiteren Horizont und langen Atem verlangt. Andrerseits durch Aspekte dessen, was mit
"art under web conditions" gemeint ist. Netzwerkarbeit die im realen Raum und im
"Cyberspace" gleichermaßen stattfindet. Wechselwirkung von Themen und
handelnden Personen.
So hat etwa die Serbin Svetlana Volic in Mooste gemeinsam
mit dem estnischen Künstler Peeter Krosmann ein faszinierende Verknüpfung von Lebensraum
und künstlerischer Installation realisiert. Um danach plötzlich in der "Transit
Zone" in Belgrad aufzutauchen, die wieder zu "The Junction" führt; zum
"Beograd Track".
So kursieren Ideen, gelingt Austausch, wächst
Zusammenarbeit ... über die bestehenden Grenzen hinweg.
Englische
Fassung von
Hans Georg Tuerstig
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den Details
Martin Krusche
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