the track / archive / page #10 Über die Kunst des Täuschens
Von Mirjana Peitler-Selakov
Das Vorhaben, eine Installation in Seminarräumen eines
Ingenieurbüros zu zeigen, ist aus unserer mehrjährigen Erfahrung der Ausstellungspraxis,
einer raumlosen Kulturinitiative in der sogenannten Provinz,
hervorgegangen. Die Frage, welche uns hier in der Region, abseits der Kultur- und
Kunstzentren permanent beschäftigt, lautet: Wie können wir die Akzeptanz und die
Rezeption der Gegenwartskunst steigern? Wie können wir überhaupt in Region einen
Kunstdiskurs initiieren?
Eine aus der langzeitigen Auseinandersetzung mit der
Region, ihren Merkmalen, Potenzialen und Schwierigkeiten entstandene Orientierung, Kunst
zu den Menschen zu bringen, heißt für uns aber nicht nur, sie einfach in einem
öffentlichen, frei zugänglichen Raum bloß zu zeigen, sondern schon im Prozess der
Projektentstehung einen Raumgewinn für Kunst zu schaffen. Das bedeutet in
erster Linie, Kommunikationsräume zu eröffnen, um nach Dialog zu suchen. Auf
dieser Suche mussten wir verschiedene Taktiken erproben. So auch hier.
Mit minimalen Eingriffen und Verwirrungstaktiken versuchen
wir den Raum neu zu gewinnen. Einerseits bieten wir tatsächlich Einblick in das komplexe
Universum der Künstlergruppe Kollektive Aktionen in einem Seminarraum an,
anderseits lassen wir den Großteil des Raumes in seiner ursprünglichen Funktion gelten
und versuchen, optische Merkmale des Ingenieurbüros in die Präsentation zu integrieren
(Möbel, Ordner, Schriftbild etc. sind vom Ingenieurbüro übernommen). So kann der Raum,
abhängig vom Beobachter, entweder als Seminarraum oder als Kunstraum
rezipiert werden.
Das Projekt widmet sich subversiven künstlerischen
Strategien der Gruppe Kollektive Aktionen, welche sie seit mehr als drei
Jahrzehnten konsequent in ihrem Werk pflegt. Gezeigt werden Strategien wie
Täuschungsmanöver, Desinformation, Zweckentfremdung, sowie die Positionierung der Gruppe
gegenüber dem offiziellen politischen und kulturellen Leben. Dabei sind die konzeptuellen
Kunstpraktiken, insbesondere deren interdisziplinäre und kollaborative Potenziale,
hervorgehoben.
In der Installation wird versucht, der Aufbau eines
Kommunikationssystems aufzuzeichnen, in dem die Kunst das Sehen thematisiert, die Musik
das Hören und die Literatur das Lesen. Die spezifischen Ausrichtungen wie
Selbstreflexion, der Grad ihrer Explizitheit sowie die Aspekte, unter denen
Lesen, Hören und Sehen vermittelt werden, bilden die
Rasterrahmen für die Auswahl der präsentierten Werke.
Durch die Verlagerung des Schwerpunktes der Installation
vom Objekt zum Raum und dadurch zu neuen Inhalten, um schließlich zur Sprache zu kommen,
wird hier versucht, die Beziehungen zwischen Wahrgenommenem und Tatsächlichem in Frage zu
stellen und die Abhängigkeit jeder Wahrnehmung von der individuellen Interpretation der
Wahrnehmenden zu thematisieren. Ein Vorgang, der sich den künstlerischen Praktiken der
Kollektive Aktionen anzunähern versucht.
Die Virtuosen der Täuschung möchten den
Zauber, der durch die Kunstwerke offenbart wird, an einen nicht der Kunst gewidmeten Raum
übertragen, diesen entfunktionalisieren und die Atmosphäre mit individuellen
Vorstellungen zu füllen. Mit Hilfe vom Imitation und Verstecken werden grundsätzlich
existierende Realitäten hinterfragt.
Da sich in Räumlichkeiten kein Rahmen gibt,
der den Kunstraum vom Seminarraum trennt, eröffnet sich die herkömmliche
Rezeption des Ortes neu.
Mit der Annahme, dass ein Ort weder neutral noch
unbeweglich ist, schafft die Installation Möglichkeiten für die Untersuchung des
physikalischen, funktionalen, intellektuellen, kulturellen oder institutionellen
Charakters des Ortes.
Hier gibt es keine Dekorierbarkeit des Raumes. Die gegebene
»Situation« wird genützt, um die damit einhergehende, nicht kunstspezifische Rezeption
durch die Anwesenheit von Kunstwerken zu irritieren und den »normalen« Funktionsablauf
des Ortes zu »stören«. Dies bildet den Ausgangpunkt für einen Dialog über die Kunst
und ihre Rolle in unserer Gesellschaft, der in weiteren Schritten des Projektes gefordert
wird.
Mirjana Peitler-Selakov, 2010
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