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#4Warum
solche Exkurse? Massenmobilität ist in unseren eigenen Geschichten stark mit dem
Faschismus verbunden, der ja vor allem davon handelt, daß eine Clique von Proleten den
Lebensstil des Adels, der "alten Eliten" haben wollte, was verlangte, Massen zu
mobilisieren, um Massen berauben zu können. Diese Mobilisierung handelte eben auch von
Motorisierung. Das Automobil wurde zum Fortschritts-Symbol.
Davor war es für Leute meiner Herkunft eher
nicht üblich, in der Welt herumzukommen; außer man ist zum Beispiel Handwerker gewesen,
wie mein Großvater Richard, der als Steinmetz seine Wanderjahre absolviert hat.
Emils Wunderkammer bot auch noch anderer
Bezugspunkte zur Tyrannis und zu Formen der Massenmobilisierung ... über eine Sammlung
propagandistischer Plakate aus dem China der 1960er-Jahre, da der Vorsitzende Mao die
zentrale Ikone gewesen ist.
Aber es kamen auch vergleichsweise charmante
Kuriositäten auf den Tisch. Etwa eine Sammlung von Trick-Gegenständen aus den
1920er-Jahren. Das paßt auf freundliche Art zum Thema des heurigen Kunstfestivals "steirischer
herbst", "Meister, Trickster, Bricoleure", wozu wir ja die
Station mit den "Kollektiven Aktionen" auf meiner Strecke herbeigeführt haben.
Unter den Artikeln für Tisch-Zaubererein ein "Money
Maker", mit dem man so tun konnte, als würde man simples Papier in Geldscheine
verwandeln. Darin stecken noch zwei makellose, ungefaltete 20 Schilling-Scheine aus dem
Jahr 1956. Darauf das Bildnis des Auer von Welsbach, dem wir allerhand in Sachen
Beleuchtung verdanken. Auer hat den Gas-Glühstrumpf und einen preiswerten Feuerstein für
Feuerzeuge erfunden. Es gibt noch heute Glühbirnen der Firma OSRAM, die auf Auer von
Welsbach zurück geht. Der Name leitet sich von einer Kombination der Begriffe Osmium und
Wolfram ab, Stoffe, die zur Erzeugung der Glühfäden nötig waren.
Damit haben ich nun zwei wichtige Motive des 20.
Jahrhunderts aufgegriffen. Das Automobil, um ein "Reisen für alle" zu
realisieren, und das elektrische Licht, um die Barriere zwischen Tag und Nacht
niederzureißen.
Beides, die Elektrifizierung der Dörfer und
Häuser sowie das eigene Auto vor dem Haus, wurden in der Oststeiermark erst nach dem
zweiten Weltkrieg zum wachsenden Standard. Diese Geschichte ist also sehr jung. Sie hat
sich innerhalb der Lebensspannen meiner Elterngeneration ereignet.
Im Laufe des
Abends erzählte ich davon, daß ich als Kind ein Reisegrammophon besessen hab, das mir
jemand für einige Schilling überlassen hatte. Dieses Grammophon trug keinen
Schalltrichter, sondern der Schallverstärker war Teil des Kastens. An der Front war eine
Klappe zu öffnen, um damit quasi auf Lautstärke zu kommen.
Emil verließ kurz den Tisch, kam mit einem
Kasten zurück und fragte: "So etwas?" ja, genau so etwas. Das Werk ist mit
einer Kurbel aufzuziehen. So hörten wir, ganz ohne Strom und Elektronik, bloß auf
Mechanik gestützt, den alten Schlager "Mein Papagei frißt keine harten Eier".
(Ich denke, wir können uns heute keine Vorstellung mehr machen, welche Sensation so ein
elaboriertes Maschinchen in Zeiten vor dem Radio gewesen sein muß.)
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