Docu #24: Monika Mokre / Bilderstuermereien Österreich hatte sein Skandälchen im Dezember des Vorjahres, als
im Rahmen eines Projektes zur EU-Ratspräsidentschaft zwei Bilder gezeigt wurden, die
zuerst von der veröffentlichten Meinung und dann von der Volksmeinung als pornographisch
bezeichnet wurden.
Österreich erlitt eine schwere narzisstische Kränkung,
als sich im Jänner dieses Jahres herausstellte, dass die Republik tatsächlich die
einstmals enteigneten Klimt-Bilder ihren BesitzerInnen zurückgeben muss.
Diese kleinen nationalen Aufreger verblassen allerdings vor
dem weltweiten Sturm, den eine Serie geschmackloser Karikaturen des Propheten Mohammed in
einer dänischen Zeitung ausgelöst hat.
Drei Vorfälle mit einigen Parallelen. Z. B. dass sich in
jedem Fall einige ganz einfache Antworten zur Konfliktfrage finden, die mit Verve
vorgetragen werden:
+) Die Kunst ist frei.
+) Die Meinung ist frei.
+) Die Freiheit der Kunst endet dort, wo Gefühle und Wertvorstellungen anderer verletzt
werden.
+) Kunst sollte öffentlich zugänglich sein.
+) Nationalsozialistische Enteignungen sind rückgängig zu machen.
Alle diese Aussagen sind richtig im Sinne dessen, dass sie
Wertvorstellungen unserer Gesellschaft entsprechen. Und aufgrund dessen helfen sie wenig
weiter, wenn konkrete Situationen beurteilt werden sollen: Dort, wo sie einander
widersprechen, lässt sich kein allgemein gültiges Urteil treffen, verschiedene Werte
müssen gegeneinander abgewogen werden. Manchmal ist das ziemlich einfach: Die Rechte der
Opfer des Nationalsozialismus wiegen schwerer als die ihrer EnteignerInnen. Manchmal ist
das eher schwierig: Geht die Freiheit der öffentlichen Meinung so weit, dass die Gefühle
einer in diesem Land unterdrückten Minderheit verletzt werden dürfen?
Debatten über moralische Urteile sind schwierig und
letztendlich unlösbar - und deshalb werden sie wohl im Allgemeinen auch nicht geführt.
Oder genauer: Sie werden scheinbar geführt und Positionen werden angeblich moralisch
begründet, während es in Wirklichkeit um Machtansprüche geht. Die Rechte enteigneter
jüdischer Familien haben die Republik Österreich vor dem verlorenen Prozess um die
Klimt-Bilder in keiner Weise interessiert. Und die religiösen Gefühle der in Dänemark
lebenden Moslems sind erst interessant geworden, seit Moslems auf der ganzen Welt sich mit
ihnen identifiziert haben und dieser Konflikt massive wirtschaftliche und politische
Folgen nach sich zu ziehen droht.
Macht äußert sich im Spätkapitalismus bekanntlich nur
selten als offensichtliche Repression; im allgemeinen und viel effektiver ist sie
internalisiert, erscheint als Teil der persönlichen Anliegen und Bedürfnisse der
Individuen. Z. B. der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung, die
KronenzeitungsleserInnen sind und die Empörung dieser Zeitung über zwei Plakate, die sie
vermutlich selbst nie gesehen haben (da es davon nur eine sehr geringe Auflage gab),
umgehend als ihre eigene übernehmen. Z. B. von Moslems auf der ganzen Welt, die ihren
islamistischen Führern glauben, dass eine Zeitungsveröffentlichung in einem kleinen
europäischen Land eine Beleidigung für sie alle darstellt.
Macht beruht im Kapitalismus bekanntlich auf ökonomischen
Grundlagen. Dies wird seit Beginn des Kapitalismus immer wieder versucht zu verschleiern.
Die Freiheit der Kunst, ihre angebliche Abgelöstheit aus ökonomischen Zusammenhängen,
war eine wichtige Form dieser Verschleierung. Der Spätkapitalismus ist immer weniger auf
solche Verschleierungen angewiesen, da ohnehin allgemein anerkannt ist, dass
wirtschaftlicher Erfolg das einzige ist, was zählt. Sodass - wie von Adorno und
Horkheimer schon in den 1940ern dargestellt - die Kulturindustrie die ökonomische
Verwertbarkeit von Kunst konsequent und erfolgreich vorantreibt. Auf diese Art wird der
Skandal um zwei Kunstwerke im öffentlichen Raum zu einem enormen Publicityerfolg, der von
den Kuratoren der Reihe auch enthusiastisch gefeiert wird. Dass es in diesem Skandal in
keiner Weise um das geht, was die beiden KünstlerInnen aussagen wollten, spielt in diesem
Kalkül keine Rolle: Das Bild einer nur mit einem Slip in den Farben der EU-Flagge
bekleideten Frau ist ein Werk der radikal-feministischen serbischen Künstlerin Tanja
Ostojic, die sich in allen ihren Arbeiten mit Frauenunterdrückung beschäftigt und mit
den neuen Facetten, die diese durch die Schengen-Grenzen erhalten hat.
Es wurde im Rahmen von Ausstellungen bereits mehrfach
gezeigt und ist in diesem Kontext auch gut verständlich: Die Verfremdung eines Bildes von
Gustave Courbet zu einem Frauenkörper, der - in Anspielung auf sexistische Werbeplakate -
völlig geglättet ist, in Kombination mit der Flagge jener politischen Einheit, die
Frauen aus Nicht-EU-Ländern mit ihrer Gesetzgebung dazu bringt, sich in Scheinehen oder
anderen Formen sexueller Ausbeutung männlichen EU-Bürgern auszuliefern. Ohne Kontext und
ohne Wissen um die Künstlerin ist das Bild völlig unverständlich und geht zwischen
durchaus ähnlichen Darstellungen etwa der Werbung für weibliche Dessous unter. (Dass es
im Unterschied zur Unterwäschenwerbung und zur täglichen Nackten in der Kronenzeitung
als pornographisch bezeichnet wird, ist allerdings einigermaßen erstaunlich.)
Wenn PolitikerInnen aus der ganzen EU sich jetzt beflissen
fühlen, die religiösen Gefühle von Moslems zu verteidigen, liegt das daran, dass - sehr
zum Unbehagen der Ersten Welt - mittlerweile die ehemaligen Kolonien ein erhebliches Maß
an ökonomischer und politischer Macht haben und diese auch einsetzen. Nicht nur Attentate
radikaler IslamistInnen fürchtet die EU, sondern auch den Wirtschaftsboykott durch
Moslems, der den EU-Staaten erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen könnte. Der
Kniefall vor den religiösen Gefühlen von Moslems hat nichts mit religiöser Toleranz zu
tun (und schon gar nicht mit Toleranz gegenüber den Minderheiten im eigenen Land, die z.
B. gerade durch Debatten über verpflichtende Deutschsprachigkeit auf deutschen
Schulhöfen einen neuen Tiefpunkt erreicht), sondern ist klares polit-ökonomisches
Kalkül.
Was daraus für die konkreten Konfliktfälle zu lernen ist?
Nicht viel, außer dass wir uns nicht von Debatten über Kunst, Meinungsfreiheit und
moralische Werte verwirren lassen sollten, wenn es in Wirklichkeit um wirtschaftliche
Vorherrschaft und politische Macht geht.
[Monika Mokre, Politologin]
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