Docu #16: Peter Michael Lingens / profil

docu16.jpg (20562 Byte)

Schon seit Jahren verfasste ich meine Texte gerne unter dem Titel „Der Reaktionär“. Ich habe das auch profil-Herausgeber Christian Rainer vorgeschlagen, aber er meinte, ich sei in dieser Hinsicht nicht glaubwürdig genug.

Vielleicht kann ich meine Sache mit den folgenden Ansichten befördern: Ich halte die berüchtigten EU-Plakate für genau den „Schmarren“, als den Peter Gnam sie in der „Kronen Zeitung“ bezeichnet. Ich bin mit Josef Cap darüber empört, dass dieser Schmarren mit Steuergeldern gefördert wurde. Und ich plädiere dafür, die beiden Verantwortlichen, den ORF-Strategen Wolfgang Lorenz und den Bundestheater-Holding-Chef Georg Springer, schleunigst aus jedem Gremium zu eliminieren, das das Geringste mit bildender Kunst zu tun hat: Nicht weil sie Staatsoberhäupter beleidigt oder Pornografie zugelassen haben – oh hätten sie nur, das wäre vielleicht reizvoll gewesen –, sondern weil „Projektverantwortliche“, die bewirken, dass Millionen in ausgesuchten Schmarren gesteckt werden, in Zeiten knapper Kunstbudgets untragbar sind.

Thomas Trenkler sorgt sich im „Standard“ über die „neue Kunstfeindlichkeit“, die anhand dieser Affäre sichtbar wurde. „Das weltoffene Image, das Sonnenkönig Bruno Kreisky, Kulturstadträtin Ursula Pasterk und (Kunstminister Rudolf; Anm. d. Red.) Scholten mit Herz und Engagement aufgebaut hatten: Es ist endgültig zerstört.“

Meine Besorgnis gilt eher der neuen Kunstfreundlichkeit, die in solchen Stellungnahmen sichtbar wird. Robert Musil konnte „Kakanien“ noch als ein Land loben, „in dem zwar gelegentlich ein Genie für einen Lümmel gehalten würde, nicht aber, wie anderswo, auch schon ein Lümmel für ein Genie“.

Diese Zeiten sind leider vorbei: Es braucht bloß ein provinzieller spanischer Maler wie Carlos Aires zu erklären, er wolle provozieren, und schon sehen zwei provinzielle Juroren in ihm einen „international renommierten“ Künstler.

Natürlich kann es Kunst sein, Prominente bei ausgefallenen Sexualpraktiken darzustellen: Manfred Deix und Gerhard Haderer haben das in Dutzenden Cartoons bewiesen. George Bush bietet sich dafür durchaus an: Ich könnte mir vorstellen, wie er seinem Verteidigungsminister einen bläst, während Dick Cheney ihn von hinten vögelt. Das hätte zwar nichts mit der EU, aber immerhin eine Menge mit George Bush zu tun und wäre, von Manfred Deix gezeichnet, wahrscheinlich museumsreif.

Auch die Dame Europa mit geöffneten Schenkeln ist wahrscheinlich ein brauchbares Sujet: Zum Beispiel, indem man einen Gamsbart-Österreicher auf ihr abgelegtes EU-Kleidchen pinkeln statt sie vernaschen lässt.

Kreative Profis vermögen vermutlich ein Dutzend provozierende Ideen für die bildnerische Darstellung von Vorzügen oder Nachteilen der EU aus dem Ärmel zu schütteln – aber Frau Tanja Ostojic und Herr Aires sind eben genau das nicht: kreativ.

Es sind Dilettanten – nur gerade imstande, Projektverantwortliche vom Format des Herrn Lorenz oder des Herrn Springer zu beeindrucken.

Ich weiß nicht, ob man als Verwalter der Bundestheater etwas von Kunst verstehen muss – vielleicht handelt es sich dabei um eine ausschließlich kaufmännische Funktion, und Herr Springer ist diesbezüglich ein Profi –, aber wenn er auch nur das Geringste mit der Budgetierung von Bühnenbildern zu tun haben sollte, dann ist er auch in dieser Funktion eine Zumutung: „Niemand“, so wagte Georg Springer zur Verteidigung von Frau Ostojic und Herrn Aires gegen den Vorwurf der Pornografie zu sagen, „würde Egon Schiele als Pornografen bezeichnen.“

Das ist selbst in Notwehr nicht tolerabel: Jemand, der offenbar nicht zwischen der Faszination des Erotischen, ja selbst des Pornografischen in einigen der größten Gemälde der Gegenwart und der billigen Nutzung eines Pornofotos zum Zweck einer lächerlichen „Provokation“ unterscheiden kann (oder unterscheiden will), sollte mit der Verwaltung der Stadthalle, nicht der Staatstheater betraut werden.

Vorsichtshalber möchte ich an dieser Stelle die etwas andere Sicht des Kunstsprechers der Grünen, Wolfgang Zinggl, einfügen: Er hält die beiden Kuratoren nicht so sehr für provinzielle Dilettanten als vielmehr für zynische Kunst-Geschäftemacher: „Sie wollten ihr nebuloses ,25 Peaces‘-Projekt, mit dem sie ein Jahr lang genervt haben, ein letztes Mal in die Schlagzeilen bringen.“

Mag sein, dass Zinggl Recht hat und dass Springer und Lorenz nicht fälschlich Schmarren für Kunst hielten, sondern dass sie genau wussten, dass sie Schmarren vermarkten und dabei eben so professionell wie möglich vorgegangen sind. Nur macht sie das für ihre Funktion nicht geeigneter. Und im Übrigen sollte man für möglich halten, dass sie sowohl nichts verstehen als auch zynische Vermarkter sind.

Das ist keine „künstliche Erregung“, die den Anlass nicht wert ist. Die Frage, wen die öffentliche Hand dazu bestellt, Kunst zu fördern, ist wesentlich. Es ist erheblich, ob um eine Million Euro Schmarren gefördert wird oder ob dadurch ein paar gute Maler oder Bildhauer, die nicht jedermanns Geschmack treffen, überleben.

Im Allgemeinen ist die Auswahl entsprechender Projektverantwortlicher eine Sache des Kulturministers, der in Frankreich beispielsweise einmal André Malraux hieß.

Es zählt durchaus zu den gravierenden Problemen des heutigen Österreich, dass die Position eines Kunstministers hierzulande nicht existiert und weit und breit niemand in Sicht ist, der sie kompetent ausfüllen könnte.

[Quelle]


core | reset | home
3•06