Docu #12: Der Standard 05. Jänner 2006
Tanja Ostojic' Plakat-Resümee:
"Gefahr für die Zukunft der Kunst in Österreich"
"Ohne jeden Zweifel Zensur" - Künstlerin übt Kritik an Kuratoren und
Präsentationsform
Wien/Belgrad - Von der Aufregung über
drei umstrittene Plakate des Projekts "Peace gerollt" im Rahmen der "25
Peaces" bleibt "eine Gefahr für die Freiheit der Kunst, für Kunst im
öffentlichen Raum, für zukünftige Kunst-Subventionierung in Österreich sowie ein
Vertuschen verschiedenartiger politischer Probleme". Dieses Resümee zog die
Künstlerin Tanja Ostojic, die mit dem von David Rych aufgenommenen Bildnis ihres nur mit
einer blauen EU-Unterhose bekleideten Unterleibs einen großen Teil der Medienaufregung
abbekommen hat, in einem Email-Interview.
Dass die Bilder von den "Rolling
Boards" am 30. Dezember 2005 nach tagelanger Kritik in den Medien und auch von
Politikern von FPÖ und SPÖ in Wien entfernt worden sind, "bedeutet für mich
persönlich nichts. Ohne jeden Zweifel ist es Zensur, die für die Zukunft der Kunst in
Österreich Gefahren birgt - im Speziellen für Kunst mit politischem Inhalt, kritische
Kunst, Künstlerinnen sowie Künstler von außerhalb der EU".
Werk bereits öfters zu sehen
Ihr in der letzten Woche des Jahres 2005
plötzlich ins Licht der Medienaufregung gerücktes Werk war schon mehrere Male - u.a.
auch in Österreich bei der Ausstellung "Double Check" in Graz - im Kunstbereich
und bei Universitätsvorträgen öffentlich zu sehen, betonte Ostojic. "Mehrere
feministische Theoretikerinnen haben über mein Werk geschrieben", ein Diskurs über
Sexismus wurde in den zuvor genannten Kontexten jedoch nie aufgeworfen. "Und ich bin
sicher, dass dies auch nicht zutrifft", so Ostojic zu den Sexismus-Vorwürfen gegen
ihr Werk, bei dem sie wie in ihrer Arbeit "Looking for a husband with EU
passport" (2000-2003) selber zu sehen ist. "Meine Erfahrung sagt mir, dass es
die innere Message eines Werkes ist, die eigentlich die Provokation auslöst, und nicht
die Direktheit meines weiblichen Körpers".
Die "Kronen Zeitung" hat dieses
Werk "als pornografisch bezeichnet, obwohl es keine sichtbaren Geschlechtsorgane auf
dem Bild gibt" und die Zeitung täglich "Bilder nackter Frauen mit einer
explizit erotischen Intention" veröffentlicht, meinte die Künstlerin. Die
"Krone" habe mit dieser "oberflächlichen Kampagne" ihre Auflage
gesteigert. "Ein Großteil der übrigen Presse hat unintelligenterweise die
Definition als Medien-Skandal übernommen".
Die Künstlerin bezeichnete es als
"irgendwie ernüchternd", dass "selbst oppositionelle Gruppierungen die
subversiven Elemente, die dieses Werk beinhaltete, nicht lesen noch auf diese verweisen
konnten, sondern vielmehr den Medienskandal-Slang der 'Krone' wiederholten". Die
möglichen Interpretationen seien jedenfalls "vielfältig, je nachdem, wer es
anschaut: Die Geburt einer Einheit für die einen, die Verhinderung derselben für andere,
oder für einige die vermehrten Schwierigkeiten, nicht ebenfalls unter der 'neuen Decke'
zu sein". Auf Grund der "zunehmenden Kontrolle" von Nicht-EU-Bürgern
würde die "Einwanderungsbehörde bei Ehen von EU-Bürgern und Nicht-EU-Bürgern
sogar die Wärme von Bettlaken überprüfen", erläuterte Ostojic in ihrem Email aus
Belgrad. Die Frau auf Ostojics Bild, das sich auf Gustave Courbets "L'Origine du
monde" (Der Ursprung der Welt, 1866) bezieht, liegt zum Teil von Laken bedeckt in
einem Bett. Ostojic setze mit dem Werk "den kritischen Blick auf die
Ausschließungs-Politik der EU" fort.
Kritik am Rahmen von "25
Peaces"
Als "hoch problematisch"
bezeichnete Ostojic den "großen Rahmen", in dem die "25 Peaces" die
Werke präsentiert haben. "Wenn das Ziel war, eine glatte Werbelinie zu kreieren,
dann hätte das Konzept nie aus dem Büro der Spin Doctors ins offene Feld der Kultur
kommen dürfen". Ihre Poster hätten nicht als "Werbung für die EU" dienen
sollen. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit europäischer Geopolitik sollte
"kritischen Positionen offen stehen, da diese individuelle Standpunkte
widerspiegeln".
Kritik übte Ostojic an den Kuratoren des
"Peace gerollt": Diese hätten "die Medien mit detailliertem Pressematerial
über den Inhalt jedes einzelnen Werkes" versorgen sollen, damit die Öffentlichkeit
Zugang zu dieser Information haben hätte können, findet Ostojic. "Wissen und
Bildung neutralisiert oder zumindest minimalisiert einen reaktionären Ausbruch".
Das Werk sei nach seiner Entfernung umso
mehr in digitalen Medien verfügbar, und Ostojic hofft, dass nun "eine konstruktivere
und intellektuellere Debatte" stattfinden möge. Das Absurde am Entfernen der Bilder
von den Rolling Boards aus "moralischen Gründen" sei, dass dies "einzig
als Manifestation offizieller politischer Macht" diene, jedoch den Zweck verfehlte:
Denn "eigentlich hat dies den Inhalt bis in die letzten Winkel der Gesellschaft
vervielfältigt". (APA)
[Quelle] [Related to the
Interview]
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