Blatt #201 | KW 21/2022
Fette Beute
Hallo Martin,
Schöne Grüße zu schicken - das besagt meine
selbst definierte Tradition - darf ich dir nur in Echtzeit. Und
bloß ein Mal am Tag. Ich glaube, bis dato habe ich mich daran
gehalten. Weil aber Monaco doch ein wenig etwas hergegeben hat,
habe ich mir gedacht, verlängere ich und schick dir noch ein
paar Fette Beutestücke per eMail in den nächsten
Tagen.
Damit du dir den 250 GT Lusso auch in
groß anschauen kannst, gleich nochmals die beiden Bilder in
Originalgröße, dann kannst du wunderbar reinzoomen. Dieses
Automobil ist ein wahres Kunstwerk, mein Blick schweift von den
Borrani Speichenrädern über den geduckten Vorderwagen mit
diesem endgenialen Schwung des vorderen Kotflügels, dann über
diese sanft abfallende Taille zum schlichten Heck mit der
dezenten Spoilerlippe - wieder und wieder, und ich kann mich
einfach nicht satt sehen an dieser Genialität.
Wir sind
übrigens grad beim Nachmittagsespresso gesessen an einem gut
bestückten Kreisverkehr unterhalb des Jardin Exotique, aber mein
Puls kam dort nie zur Ruhe - es hätte also des Kaffees gar nicht
gebraucht - denn nur ein paar Minuten nach dem klassischen aller
klassischen V12 Grand Turismo kam schon der nächste Hammer ums
Eck gebogen (und es war auch DAS dann nicht das letzte Highlight
während dieser knappen Dreiviertelstunde).
Der knorrige, ungefilterte Sound war schon da, als ich des
dazugehörigen Autos noch gar nicht ansichtig war. Aber du kennst
das. Man hört etwas, man springt auf, man zückt die Kamera - in
dem Fall mein Smartphone - man hastet stolpernd durch die Menge
(keine Rücksicht auf Familienmitglieder, die grade mit heißer
Schoki beschäftigt waren), weil der Autojäger in uns weiß, da
kommt was. Die mahnenden Worten eines monegassischen
Straßenpolizisten ignorierend ich also auf den Mittelstreifen
der zweispurigen Straße, und da rollt dieses dunkelblaue Coupé
schon direkt auf mich zu.
Unzählige Male schon in
diversen Büchern betrachtet war mir sofort klar, was mir da grad
begegnet, dank der Unterstützung einer Dosis ausgeschütteten
Adrenalins rief ich tief aus meinem Autogehirn die richtige
Datei ab: „Frazer Nash Le Mans Coupé“! Ein bisschen Recherche:
Davon wurden in der ersten Hälfte der 1950er Jahre nur neun
Stück gebaut, es war das erste und gleichzeitig vorletzte
geschlossene Modell von Frazer-Nash.
Das Besondere an dieser Marke ist nicht nur die Seltenheit -
weniger als einhundert wurden insgesamt nach WWII gebaut -
sondern auch, was da unter der Motorhaube steckt: nämlich der
hochgepriesene, legendäre Bristol Sechszylinder mit dem
angeblich seidenweichen Lauf und unwiderstehlichen Klang
(zumindest letzteres kann ich jetzt bestätigen), der ein
direkter Nachkomme des BMW Motors ist, der in 327 und 328 zum
Einsatz kam.
Kurz gesagt: britische Extravaganz und
hochwertig verarbeitete Kleinserie in Vollkommenheit, ganz wie
es mir gefällt. Dieses Exemplar ist übrigens in Frankreich
zugelassen, und wie sich herausstellte, nahm es auch an dem
Grand Prix Historique am selben Wochenende teil (der eigentliche
Grund unseres Trips in das Fürstentum).
Freue dich auf
mehr. Liebe Grüße Norbert
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