Blatt #176 | KW 30/2021
Kontraste
Weiterhin ist der Browser für mich ein Fenster zur Welt im
abgedunkelten Büro, während die Welt draußen, vor meinem
Bürofenster, auch reichlich Krach schlägt. Vor allem seit auf
dem Terrain gegenüber die Corona-Teststraße eingerichtet wurde.
Früher konnte ich als versierter Automobil-Paparazzo noch meinen
Ohren trauen. Wenn etwas nach Supersportler klang, zückte ich
schon einmal die Kamera, fuhr das Tele aus, dann kam auch ein
Supersportler um die Ecke.
Suzuki LJ 80
Heute ist das anders und in 90
Prozent der Fälle klebt am Supersound ein verlöteter
Bürgerkäfig, oft ein Kombi, völlig uninteressantes Zeugs. Also
befasse ich mich jetzt wieder mehr mit den Posteingängen.
Der
Dottore hat grade reichliches Paparazzo-Glück. „Abermals schöne
Grüße aus Reutte.“ Er lieferte mir ein klassisches Kei Car, den
quietschgelben Suzuki LJ 80, dessen glänzendes Riffelblech an
der Stoßstange verrät, daß dieser Wagen gut gepflegt und
verfeinert wurde.
Ellenator (Fiat 500)
Dann gleich weiter: „Schöne Grüße
aus Reutte. (Schau genau!)“ Die Fender Skirts sind bei
Autos der Gegenwart unüblich, so fällt der Blick auf die
Hinterräder. „Das ist ein Ellenator - kein Witz.“ Ich
lächle dann dennoch. Diese kuriose Fiat 500-Adaption fällt unter
die Kategorie Threewheeler. Ich staune, daß so ein großer
technischer Aufwand für ein „Fast-Automobil“ auf dem Markt
funktioniert und Kundschaft findet. (Mords Auftritt für
Sechzehnjährige!)
„Der Ellenator ist der erste PKW,
der mit 16 Jahren gefahren werden darf, da er trotz 4 Räder als
‚Dreirädriges Fahrzeug‘ Fahrzeugklasse L5e eingestuft ist.
Basierend auf dem Erfolgsmodell Fiat500 verwenden wir
zuverlässige Großserientechnik, um diesen einzigartigen Umbau zu
realisieren.“
Fiat
514 S in Lanners Archiv
Da staune ich! Es wird noch kurioser: „Der Fiat
Original-Motor erhält von uns eine angepasste Leistung von
14,4kW / 20PS. Damit erreicht der Ellenator eine
Höchstgeschwindigkeit von rund 90 km/h und ist mit einem
Durchschnittsverbrauch von ca. 5,0 Litern äußert sparsam.“
Gut, und jetzt zu richtigen Fiats. (Kleiner Scherz!)
„Dabei habe ich da erst ca 15 % meines Materials verarbeitet...
in 20 Jahren… Ich muß mich langsam beeilen…“ Das schrieb
mir kürzlich Ferdinand Micha Lanner, der – wie ich – damit
rechnen muß, daß keine weiteren 40 Jahre zur Verfügung stehen.
Und selbst wenn, käme das noch nicht einmal auf 50 Prozent hin.
Wie komme ich grade auf diese Zahl?
Aixam Pick Up
So viele Jahre bräuchte ich noch, werde sie aber nicht kriegen.
Ich hocke heute auf einem Archivbestand, der ist bescheiden im
Vergleich zu Lanners Archivalien. Doch schon dieses Volumen gibt
mir das Gefühl, wenn ich nicht wie Elias Canettis Peter Kien in
„Die Blendung“ enden möchte, sondern sonst auch noch ein Leben
haben will, dann kann ich diesen Archivbestand nicht
aufarbeiten. (Kien hatte sich von der Welt abgewandt, verbrannte
sich schließlich samt seiner Bibliothek.) Ich werde mir
jetzt freilich nicht Lanners Kopf zerbrechen, das schafft er
ganz ohne mich. Er hat gerade wieder
geackert und eine aufgefrischte Version seiner phänomenalen
Online-Enzyklopädie zugänglich gemacht:
Zuckerfabrik 24
Mercedes-Benz AMG GT R
Und was hab ich da vom Straßenrand aus erwischt? Sportgerät?
Offroad-Microcar? Nein. Aixam Pick Up. Die markante Türschnalle
hat mir geholfen, im richtigen Segment zu suchen. Dann noch zum
Kontrast: Mercedes-Benz AMG GT R. Die kleine Plauderei mit dem
Besitzer bestätigte: wer möchte, kann den unter Einsatz des
Fahrassistenzsystems wie einen VW Golf bewegen. Aber der
härteste Modus hat auf der Straße nichts verloren. Geht nur auf
der Rennstrecke; wenn man dem Monster gewachsen ist. (Hier wird
jenseits der 500 PS gebügelt.)
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