Blatt #167 | KW 19/2021

Endlich Mai. Und Sonne!

Ich sah ihn aus einiger Entfernung einbiegen. Zur Tankstelle. Also mußte ich nicht rennen, um noch etwas zu erwischen. „Ist der noch aus den 1940ern?“ „Nein, 1951.“ „Ah ja, also fast.“ So beginnen erfreuliche Gespräche. Cadillac Series 62, dritte Generation. Das heißt also: 70 Jahre. Da begann etwas an den Kotflügeln am Heck. Nein, die Fender Skirts verschwanden zunehmend. Aber es wuchsen sich Heckflügel aus, die vor allem bei Cadillac und Chrysler zu bizarren Dimensionen gerieten.

Es ist ein wenig wie bei den Krinolinen in der Mode. Die noble Distanz zum Praktischen und Rationalen ist ein soziales Statement. (Na klar, Automobile sind nicht bloß Vehikel, sondern auch Kommunikationsmittel.)



1951er Cadillac Series 62

Dieser Yank Tank hat in unserer hügeligen Landschaft manchmal thermische Problemchen. Ist eben für mehr Fahrtwind gebaut. Ab nun wird also die Dichte besonderer Fahrzeuge auf unseren Straßen wieder zunehmen. (Ich hab die Kamera stets griffbereit.)

Außerdem gehe ich erneut tiefer in das Thema „Die Ehre des Handwerks“. Das wurde heuer für mein „Mythos Puch VIII“ naheliegend, weil die Pandemie-Reglements Veranstaltungen derweil eher unmöglich machen. (Vorschriften und Haftungsfragen. Da gehst du einfach pleite oder in den Knast, wenn du es mit der Behörde versemmelst.)



Feinmechaniker Karl Lagler

Ich mach mir deshalb aber kein schweres Herz, sondern schau, wo ich handlungsfähig bleib. Es gibt genug zu tun. An Albin Dimnik (†) wird noch zu erinnern ein. Der verließ uns kürzlich für immer. (Amüsante Vorstellung, wie er mit seinem Wolsley Roadster den Engeln um die Ohren fährt.)

Kürzlich konnte ich Karl Lagler besuchen. Hände, um damit Häuser einzureißen; so meint man. Denkste! Feinmechaniker. Da zeigte er mir gerade, was die unter der Nadel hin- und herflitzenden Schiffchen in den Nähmaschinen einst abgelöst hat: rotierende Greifer. Unglaublich knifflige Teile.

Eine meiner letzten Nahaufnahmen von Albin Dimnik (†)
ganz rechts am Cadillac von Charly Haar (links)

Wir benutzen Dinge und denken nicht mehr nach, daß irgendjemand dieses enorme Abstraktionsvermögen haben mußte, einen komplexen Ablauf als mechanisches System zu denken. Das Ablaufschema, ein Algorithmus, bleibt nutzlos, falls man es nicht in eine Komponente aus mehreren Bauteilen übersetzt, welche funktionell und standfest sein muß. (Schließlich soll dann die Maschine als Ganzes eine angemessene Laufzeit haben, bevor erste Pannen auftreten.)



Der Cadillac Doppelphaeton von Charly Haar.
Typ 61, Bj. 1921 und damit heuer 100 Jahre alt

Da kneift der Lagler die Augen zusammen und denkt: wie könnte es gehen? Einst war Europa voll von solchen Tüftlern, Schraubern, Bastlern, Handwerkern. Das hat sich nicht vollkommen geändert, auch wenn heute Companies und Konzern-Konglomerate bei Innovationen den Ton angeben.

Und so sind wir innerhalb meiner bisherigen Lebenszeit – als Kinder der Zweiten Industriellen Revolution – durch zwei weitere industrielle Revolutionen gegangen. Ein in der Menschheitsgeschichte bisher völlig einmaliges Entwicklungstempo, mit dem wir längst zu kämpfen haben.

+) Mythos Puch VIII
+) Industrielle Revolutionen (Ein kleiner Überblick)


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