Blatt #158 | KW 2/2021

Mäuschen und Baby

Wir sind in unserem Alltag alle ganz ausnahmslos und dicht von Zeichensystemen umgeben. Dresscode, Automobildesign und Architektur haben dabei besondere Präsenz. Im Rückblick: Was die Gestaltung von Gütern angeht, hatte zum Beispiel Art déco in den 1920er Jahren eine Blütezeit. Ab den frühen 1930ern begann die Stromlinie zu regieren.

Ich hab hier zwei wichtige Modelle der anschließenden Ära herausgegriffen. Konstrukteur Dante Giacosa setzte in Europas Geschichte einige wichtige Markierungen. Sein Fiat 500 Topolino war ein wesentlicher Entwicklungsschritt, unter dem Balilla einen noch etwas kompakteren Wagen einzuführen.



Fiat 500 Topolino

Von den drei Versionen (A, B und C) war erst die dritte mit integrierten Scheinwerfern ausgestattet. Davor saßen die Lampen noch auf den ausgestellten Kotflügeln. Das ist Vorkriegs-Design, wie auch beim Steyr 100 von Konstrukteur Karl Jenschke.

Doch jener Steyr, ebenfalls mit aufgesetzten Scheinwerfern, wurde damals schon als „Stromlinien-Wagen“ beworben. Das entsprach dem Klima und den Werbestrategien von 1933 wie 1934. Die Stromlinie war vor allem im Rennsport ein riesiges Thema, taucht zu der Zeit auch im Eisenbahnbau und sogar in der Architektur auf.

Ich muß ja nicht erst betonen, daß die Flugzeugwelt zu all dem wichtige Anstöße gab und der Tropfen, wo es um Windschlüpfrigkeit ging, längst als optimale Form galt. Der Fiat 500 und der Steyr 50, beide um 1936 in Serienproduktion, stehen symbolhaft für diese Ära des Umbruchs.



Steyr 100

Damit mündeten jene Arbeiten in neue Verhältnisse, die ab dem Jahr 1920 unübersehbar Richtung kompakte, preiswerte Auto führten, wobei oftmals der Begriff Volkswagen oder volkstümliches Auto auftauchte. Sie verstehen meinen Wink mit dem Zaunpfahl sicher.

In jener Phase war Ferdinand Porsche als Konstrukteur zwar höchst produktiv, aber da ging es noch längst nicht um seinen Volkswagen, um den VW Typ 1, der erst einmal als KdF-Wagen im Naziregime Dienst tat.

Giacosas Topolino wurde zwar noch nicht gleich jenes Auto, das sich die Arbeiter, welche es bauten, auch selbst leisten konnten. Aber technisch und in seiner Dimension, also konzeptionell, ist es das schon gewesen.

Jenschke schuf mit dem Baby einen kompakten Streamliner, der in Österreichs Automobilgeschichte heraussticht. Das Modell fiel schließlich dem Schell-Plan zum Opfer. Die Kriegslust der Nazi, übrigens durch keinen äußeren Feind angeregt, sondern bloß aus innerem Antrieb befeuert, empfahl eine Straffung der Modellpaletten in der Kraftfahrzeugwelt.



Steyr 50 Baby

So sollten verfügbare Ressourcen effizienter genutzt und die Produzenten in die Pflicht genommen werden. Zack! Und weg war das Baby. Diese beiden Modelle, der Fiat 500 und der Steyr 50, markieren sehr anschaulich die Stelle, an der alles in eine neue Ära überging, in der sich die rationellere Pontonform unter den Karosserien als dominant durchsetzter.

Da paßt es ins Bild, was Dante Giacosa und sein Design-Chef Giuseppe Alberti anschließend schufen. Der windschlüpfrige Fiat 600 und sein Nachfolger, der Fiat Nuova 500, verbinden die beiden Aspekte, die ich eben betont hab: Stromlinie und Wirtschaftlichkeit zugunsten einer Volksmotorisierung.

So betrachtet halte ich den Fiat 600 mit seinen Lizenzversionen für sozial- und kulturgeschichtlich bedeutender als den VW Käfer. (Ich will Porsche zugute haten, daß er eine Reihe damals präsenter Konzept auf einen massentauglichen Punkt gebracht und im Käfer zusammengefaßt hat.)

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Das klar und unprätentiös gestaltete Cover [Große Ansicht]

Weiterführend
+) Woher kommt das Puch-Häusel?
+) Kugeln, Eier und Tropfen
+) Sehr gute Fiat-Übersicht jener Jahre

Bildquellen
+) Steyr 100: Allgemeine Automobilzeitung 1934
+) Steyr 50 Baby: Europa Motor 1935
+) Fiat 500 Topolino: Europa Motor 1936
...aus den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek


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