Blatt #64 | KW 12/2020

Chris Fatbike (†)

Ich bekomme auf Facebook immer wieder Bilder zugesteckt. Meine Neigung zum Automobil-Paparazzo, der seine Umgebung ständig scannt, ob etwas Interessantes herumsteht, bringt manche Menschen dazu, ebenfalls zu reagieren, wenn sie an einer Auffälligkeit vorbeikommen.

Das ist heute unkompliziert, da die allgegenwärtigen Smartphones vorzügliche Kamera-Funktionen haben. Ich trage selbst aus alter Gewohnheit immer noch permanent eine Kompaktkamera mit mir herum.

Einst war das eine Spiegelreflexkamera, die schwer an der Schulter zerrte. An eben dieser Schulter vollzog sich dann über die Jahrzehnte ein Prozeß der Miniaturisierung im Umbruch vom Film zum Speicherchip.

Schließlich wurden diese kompakten Kameras so klein, daß ich sie nicht mehr sicher in der Hand halten konnte, da ich von einem Motorradunfall eine Nervenläsion davongetragen hab. Das läßt mich auch mit dem Telefon nur unsicher hantieren, also ist die Kamera mit der Schlaufe um mein Handgelenk die richtige Wahl.

Die Leidenschaft für das Motorradfahren hab ich mit einem jungen Mann geteilt, der nicht mehr da ist. Facebook wirft über eine Erinnerungsfunktion alte Beiträge auf. So kam nun ein Beitrag wieder, den ich von Christian Glanz am 12. März 2011 um 08:14 erhalten hatte: „was mir die leut von spaziergängen so daherbringen ...“

Er staunte über einen Lotus Seven. Dieser Roadster ist eine Rennmaschine und definitiv nur von fortgeschrittenen Leuten beherrschbar. Ein Motor mit zwei Sitzen und vier Rädern, kaum mehr.

Chris, der sich auf Facebook Chris Fatbike nannte, war ein leidenschaftlicher Offroader, hockte gerne auf Motocross Maschinen und fuhr schließlich sehr vergnügt, ganz ohne Motor, ein Fatbike.

Chris verschwand eines Tages. Seine letzte Botschaft ist mit 20. Februar 2017 datiert und trug die Überschrift „FADE TO BLACK SONGTEXT ÜBERSETZUNG: Das Leben, es scheint zu schwinden / Treibt jeden Tag weiter dahin / Verliere mich in mir selbst / Es stört keinen, nichts und niemand anderes zählt / Ich habe den Willen zu leben verloren / ..einfach nichts mehr zu geben / Es ist nichts mehr da für mich / Ich brauche das Ende um davon freizukommen…“

Monate später wurde er tot aus dem Wasser gezogen. Eine Erklärung gab es nicht. In der Kommentarleiste folgende Sequenz:

Chris Fatbike: „wenn man sich‘s leisten kann macht das sicher spaß ...... ich würd sterben vor lauter Angst was zu zerlegen ....... da bleib ich lieber bei den 2 Rädern die im Gatsch wühlen ...... ach ja genau Mist die kann ich mir ja auch ned leisten ….. ooo mennooo“

Martin Krusche: „jaja, wir werden uns weiterhin viele traumapparate im kino anschauen. das endet alles sowieso. kannst nix machen. (strom-moped ... ufff!)“

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